Hexen, Huren, Heilige – Frauenschicksale in Marburg

Der Hexenturm am Marburger Schloss gehört zu den traurigen Zeugnissen der Verfolgung von Frauen in der Geschichte. Der Frankenberger Zweigverein für hessische Geschichte und Landeskunde hatte diese Stelle mit Bedacht gewählt, um gemeinsam mit der Ethnologin Dr. Marita Metz-Becker (Marburg) eine historische Spurensuche in der Universitätsstadt unter der Themenstellung „Hexen – Huren – Heilige“ zu unternehmen.

Die Frankenberger Geschichtsfreunde blickten in die dunklen Gefängniszellen des Turms, wo Frauen eingesperrt wurden, die über bestimmte Heilkenntnisse verfügten oder auf andere Weise über die „Normalität“ hinaus ragten. Allein für Marburg, so berichtete die Wissenschaftlerin, seien für den Zeitraum von 1513 bis 1710 noch etwa 100 Akten von Hexenprozessen erhalten. „Die feministische Forschung vermutet in Europa neben den nachweisbaren 200000 bis 300000 Opfern sogar 9 Millionen Opfer der Hexenverfolgung, die größte nicht kriegsbedingte Massenvernichtung“, erklärte Dr. Metz-Becker.

Vor dem Elisabethaltar aus dem Jahr 1510, geschnitzt von Ludwig Juppe und bemalt von Johann von der Leyten, setzten sich die Exkursionsteilnehmer mit dem Bild der Landgräfin von Thüringen auseinander, die nach ihrem Tod sehr schnell heilig gesprochen worden ist. „Den Frauen im Mittelalter sollte damit gezeigt werden: Armut und Demut – das ist die Rolle der Frau, die erwartet wird“, sagte die Ethnologin. Man wisse heute, dass Elisabeth Kontakt zu Beginen hatte, eine Bewegung, die ein weit verbreitetes Bedürfnis religiöser Frauen nach anderen, selbstständigeren Lebensformen widerspiegelte.

Am Standort der ehemaligen Accouchieranstalt, auch „Gebärhaus“ genannt, erinnerte Dr. Metz-Becker an die Verdrängung der Frauen aus der Heilkunde und die Institutionalisierung der Geburtshilfe zum akademischen Fach. Der Geburtsvorgang wurde pathologisch interpretiert, alle führenden Geburtshelfer Europas entwickelten für Problemfälle zum Beispiel eine eigene Zange. Der Glaube an den Fortschritt in der Geburtsmedizin kommt auch in der legendären „Marburger Zangensammlung“ zum Ausdruck, die der Frankenberger Geschichtsverein in seiner letzten Station, dem Anatomischen Institut, betrachtete. Im Marburger Gebärhaus wurden im 19. Jahrhundert etwa 20 Prozent der Geburten mit der Zange beendet, dabei war das Todesrisiko für Mütter und Kinder hoch..

Es waren vorwiegende arme Frauen, ledige Mägde aus dem Marburger Umkreis, die seit 1792 in den Gebärinstituten als Unterrichtsobjekte für männliche Geburtshelfer dienten. Viele ledige Frauen brachten in ihrer Not die Kinder um oder nahmen sich selbst das Leben. In der Marburger Anatomischen Sammlung finden sich zwei präparierte Ganzkörperschnitte einer Frau, „Marburger Lenchen“ genannt, mit und ohne Fötus im Geburtskanal. Sie hatte sich in der Lahn das Leben genommen. Die Besucher aus Frankenberg begegneten in der eindrucksvollen Dauerausstellung zur Geschichte der Geburtsmedizin, an deren Erarbeitung Dr. Metz-Becker mitgewirkt hat, im „Museum Anatomicum“ noch manch anderer Anklage der stummen Art.

 

An weise Frauen, die mit ihrem Wissen Kopf und Kragen riskierten,
erinnerte Dr. Marita Metz-Becker (rechts) die Frankenberger Geschichtsfreunde
am Treffpunkt Hexenturm in Marburg. (Foto: Völker)

 

Im Museum des Anatomischen Instituts berichtet dieses Präparat
des „Marburger Lenchens“ vom tragischen Schicksal einer ledigen Mutter. (Foto: Völker)

 
 

Hier, neben der Marburger Elisabethkirche, befand sich im 19. Jahrhundert
eine Accouchiranstalt, in der Geburtshilfe für Männer gelehrt wurde. (Foto: Völker)