Verdiente Pfarrer, Lehrer und Rechner – Karl-Hermann Völker sprach über 200 Jahre Raiffeisen

Der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der vor 200 Jahren geboren wurde, hat auch in den Dörfern und Städten des Frankenberger Landes seine deutlichen Spuren hinterlassen. Wie sich dort die Idee Raiffeisens zur Armutsbekämpfung durch Selbsthilfe nach dem Prinzip „Alle für einen, einer für alle“ zur Zeit des tatkräftigen Landrats Friedrich Riesch in Genossenschaftsgründungen niederschlug, schilderte im Frankenberger Geschichtsverein dessen Vorsitzender Karl-Hermann Völker (Wiesenfeld) bei einem reich bebilderten öffentlichen Vortrag.

 
 
„Mensch Raiffeisen, starke Idee“: Die lebensgroße Figur des vor 200 Jahren geborenen Genossenschaftspioniers stand beim Vortrag von Karl-Hermann Völker (Mitte) neben dem Rednerpult. Mit den Vorständen der Frankenberger Bank Dieter Ohlsen (links) und Ralf Schmitt erinnerte der Heimathistoriker an „Vater Raiffeisen“. (Fotos: Jürgen Siegesmund)
 

Im Wigand-Gerstenberg-Saal der gastgebenden Frankenberger Bank konnte dazu Vorstand Dieter Ohlsen zu Beginn nicht nur eine große Zahl von interessierten Geschichtsfreunden, sondern auch ehemalige Raiffeisen-Mitarbeiter aus früheren Vorständen und Aufsichtsräten begrüßen. Im Blick auf die 200-jährige Raiffeisen-Geschichte stellte Ohlsen fest: „Betriebswirtschaftlicher Erfolg alleine trägt offensichtlich dauerhaft nicht. Es sind weiter auch die ‚banalen Tugenden‘ von Anstand, Ehrlichkeit und sozialer Verantwortung im täglichen Tun und Handeln, die uns vom ‚Gründervater‘ Raiffeisen in unser Stammbuch geschrieben sind“, erklärte er.

Nächstenliebe und Wohltätigkeit aus christlicher Verpflichtung, „nicht allein Geld und Zinsen“, seien die anfänglichen Hauptmotive des tiefreligiösen Bürgermeisters Raiffeisen gewesen, um im Westerwald die Armut der Menschen zu bekämpfen, schilderte Karl-Hermann Völker mit Bildern aus dem Leben des Genossenschaftspioniers. Das habe später unter anderem zum Konflikt mit dem wirtschaftsliberalen Hermann Schulze-Delitzsch geführt.

 
 
Feierlicher Ernst spricht aus diesem Foto von der Gründung der Raiffeisengenossenschaft in Röddenau mit Pfarrer Soldan im Jahr 1897.
 

Pfarrer und Lehrer waren auch in der Frankenberger Region die zuverlässigsten Stützen der sich bildenden Raiffeisengenossenschaften. Die enge Verflechtung mit der Kirche zeigte sich darin, dass die Bezirke der ersten Spar- und Darlehenskassen oft deckungsgleich mit den Kirchspielen waren, beschrieb Völker an zahlreichen Beispielen. „Alle kannten sich, jeder wusste, ob der Kreditnehmer das Geld wirklich für den angegebenen Zweck oder einen Wirtshausbesuch verwenden würde.“

Auf einer Karte aus dem Jahr 1955 zeigte der Heimathistoriker, wie flächendeckend im Landkreis Frankenberg fast alle Gemeinden mit örtlichen Raiffeisenkassen versorgt waren. Die dörflichen, jedem bekannten Rechner prägten das Gesicht der Raiffeisenorganisation nach außen. Völker beschrieb aber auch, wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Beginn des elektronischen Zeitalters, des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und neuer Dienstleistungen immer mehr Spar- und Darlehensvereine zur Frankenberger Bank fusionierten und dort auch unbeschadet die Finanzmarktkrise von 2007 überstanden. Raiffeisens Genossenschaftsmodell wurde 2016 zum Weltkulturerbe erklärt.

Jürgen Siegesmund