„Hessische“ Volkskunst aus Thüringen. Frankenberger Künstlerehepaar Betz-Böttner entdeckte bäuerliche Gesindetruhen neu
 
Obwohl sie aus Thüringen kamen, wurden diese Truhen gern als „Hessenlade“ bezeichnet.
Barbara Betz-Böttner zeigte im Frankenberger Zweigverein einige ihrer Fundstücke, hier ein besonders kleines Exemplar. Fotos: Völker
 

Mit festlichem Peitschenknall begleiteten früher die Dorfburschen den Tag, an dem Mägde zum Jahresbeginn ihre „Stellung“ wechselten und zu einem neuen Arbeitgeber zogen. Das Gepäck mit ihrer persönlichen Habe bestand meist nur aus einer schlichten Fichtenholzkiste, die aber dafür umso schöner bemalt war.  Besonders weit verbreitet auch im Waldeck-Frankenberger Land waren im 19. Jahrhundert „Schnetter Truhen“ aus dem Thüringer Wald. Die Frankenberger Kunsterzieherin Barbara Betz-Böttner hat mit ihrem Mann, dem Holzgestalter Stefan Böttner, diese in Vergessenheit geratenen, schmuckvollen kleinen Möbelstücke wieder entdeckt und bei einem Vortrag im Frankenberger Zweigverein ihre ersten Forschungs- und Sammelergebnisse vorgestellt.

Restauratoren und Möbelfachleute interessierten sich in den vergangenen Jahren meistens nur für „reiche“ bürgerliche Truhen und massive Bauernmöbel, die zur Wiederverwendung aufgearbeitet wurden. Die einfachen Gesindetruhen aus Weichholz hat kaum hingegen jemand beachtet. „Aus Gewichts- und Kostengründen mussten sie leicht sein, deshalb waren ihre Deckel auch bald beschädigt oder die Scharniere herausgebrochen“, sagt Stefan Böttner. „Dafür wirkten die floralen Motive, die Farben und die Sinnsprüche, mit denen die Thüringer Handwerker die für Hessen bestimmten Truhen bemalten, umso reizvoller“, ergänzt seine Frau. Blau war die Grundfarbe der von Schnett nach Hessen exportierten Kästen, deshalb auch „Hessenladen“ genannt, für Thüringen gab es die Kisten in Grün.

 
 
Viele der Schnetter Truhen, die das Künstlerpaar Böttner in Frankenberg zusammentrug, waren in einem schlechten Zustand.
Dieses Foto zeigt deutlich die Farben vor und nach der Restaurierung.
 

Durch einen Zufall stieß das Künstler-Ehepaar auf die in Schnett hergestellten Truhen: Eine Familie in Wiesenfeld bewahrte ein aus Marburg stammendes Exemplar, mit dem die Großmutter einst „in Stellung“ gezogen war, auf. Barbara Betz-Böttner, die während ihres Studiums mehrere Jahre im Bayerischen Nationalmuseum München Exponate restauriert hat, erhielt diese Mägdetruhe zur Aufarbeitung und war von den Farben begeistert. „Das Besondere an ihnen sind ihre immer nach gleichem Muster, aber niemals gleich bemalten dreigliedrigen Fronten und die große, ausdrucksstarke Farbsprache, die nicht in das Klischee der Bauernmalerei passen“, erläuterte Barbara Betz-Böttner.

 

Im Korbacher Wolfgang-Bonhage-Museum wird diese Schnetter Truhe aufbewahrt.

 

Sie suchte in der einschlägigen Fachliteratur nach und fand auch eine 2005 in Würzburg erschienene Doktorarbeit von Matthias Wagner, der diese Truhen erforscht hat. Wie er feststellte, gab es sogar in Marburg-Weidenhausen eine Fabrik, die Möbelstücke „Schnetter Typs“ nachbaute, und es war der in der regionalen Volkskunst bekannte Kirchenmaler Nikolaus Dauber, der sie für den Kunsthandel bemalte.

Von Volkskunstforschern wurden die Thüringer Dienstbotentruhen aus dem Dorf Schnett mit ihren dreigliedrigen Frontflächen und ländlichen Blumenmotiven erst spät (1936) entdeckt. Lange galten die schlichten Gebrauchsobjekte als typisch „hessische Volkskunst“, und aus der Massenware wurden begehrte „hessische“ Souvenirs. Jahrelang dienten ihre thüringischen Motive sogar als Vorlage für die gern offiziell verschenkten „Hessentagsteller“.

 
 
Mit Buchgeschenken bedankte sich Ruth Piro-Klein (Mitte) bei dem Ehepaar Böttner für seinen Vortrag im Frankenberger Kreis-Heimatmuseum.
 

Bis zur Vorstellung der Schnetter Truhen im Frankenberger Kreis-Heimatmuseum beim Geschichtsverein hat das Ehepaar Böttner in der Marburg-Frankenberger Region noch weitere kleine Holztruhen, teilweise auch nur Fragmente, gefunden, die es aufarbeiten will. Vermutlich besitzt es bereits jetzt die bundesweit größte Sammlung – mehr als der Hessenpark beispielsweise mit seinen 20 Schnetter Exemplaren.

„Wir möchten die farbige Lebendigkeit wieder hervorheben und die wenigen noch erhaltenen Exemplare vor der Zerstörung bewahren“, sagt Barbara Betz-Böttner. Bisher habe sie, obwohl die Transportkisten damals als Massenware hergestellt wurden, noch kein gestalterisches Motiv doppelt gefunden. „Gern würde ich auch von noch existierenden Stücken einfach nur Fotos machen und den Reichtum an Ornamentik festhalten.“  Sie hofft auf Hinweise unter Telefon 06451/3659.

Karl-Hermann Völker

 
 
Den Bau der Gesindetruhen aus Thüringen schilderte Stefan Böttner, der auch für die Restaurierung des Holzes zuständig ist.