Nur ein kleiner Koffer kehrte aus Majdanek zurück

An das Schicksal des NS-Opfers Karl Richter vom Untermarkt 16 erinnerte der Zweigverein Frankenberg des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde im April 2006 in der Mauritius-Kapelle des Kreis-Heimatmuseums vor einem großen Zuhörerkreis sowie Familienangehörigen. Er war seit 1941 im KZ Sachsenhausen inhaftiert, bevor er im März 1944 im KZ Majdanek bei Lublin ums Leben kam. Schon 1933 hatten die Nationalsozialisten den Sohn der Eheleute Karl und Mathilde Richter zusammen mit anderen Sozialdemokraten drei Monate lang im Frankenberger Amtsgericht eingesperrt, dann flüchtete er ins Ausland und kämpfte in Spanien auf Seiten der Republikaner gegen Franco.


Mit großer Betroffenheit hielt im Anschluss an den Vortrag im Geschichtsverein Karl Kornemann aus Kassel den kleinen Pappkoffer aus dem Leipziger Stadtmuseum in der Hand, letztes Erinnerungsstück seines im KZ Majdanek umgekommenen Onkels Karl Richter. Neben ihm seine Schwester Gretel Fontenot, seine Frau Ursel und sein Bruder Fritz Kornemann, ganz links Zweigvereinsvorsitzender Karl-Hermann Völker.

Für die Gedenkveranstaltung hatte das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig dem Frankenberger Zweigverein letzte Erinnerungsstücke, die das KZ Majdanek den Eltern Richters im Juni 1944 nach seinem Tod übersandt hatte, zur Verfügung gestellt: einen kleinen Pappkoffer, in dessen Deckelfutter von einer Schwester des Verstorbenen erst Jahre später in Leipzig Fotos und Dokumente entdeckt worden waren. Karl-Hermann Völker, Vorsitzender des Geschichtsvereins, hatte zahlreiche Privatbilder der Familie, Originaldokumente und Dokumentarfotos zur Zeitgeschichte zu einer Bildpräsentation zusammen gestellt, die hinter dem individuellen Schicksal Karl Richters auch den wirtschaftlichen und politischen Hintergrund jener Zeit sichtbar werden ließ.


Mit dieser Bildkarte warb Karl Richter auf seiner Wanderschaft während der Weltwirtschaftskrise in deutscher und italienischer Sprache um kleine Spenden.

Bilder einer Laienspielgruppe auf Burg Hessenstein im Edertal, die Karl Richter als fröhlichen jungen Mann zeigen, Fotos zusammen mit seinem Freund Konrad Vöhl in zünftiger Wanderkleidung, außerdem Bilder vom Untermarkt in den 1920-er Jahren mit Miststätten vor den Haustüren schilderten Richters Umgebung in der Jugendzeit. Völker beschrieb aber auch Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen, eine Volksküche für Bedürftige im Frankenberger Hospitalgebäude sowie Richters Wanderschaften auf der Suche nach Arbeit quer durch Europa.


Als „Weltreisende“ bezeichneten sich die Freunde Karl Richter und Konrad Vöhl, als sie um 1930 auf der Suche nach Arbeit quer durch Südeuropa wanderten.

Als Mitglied der Eisernen Front setzte Karl Richter in seiner Heimatstadt Frankenberg der NSDAP, die dort im Jahr 1933 bereits 78,2 Prozent der Stimmen bekam, noch Widerstand entgegen. Seine Schwester Mathilde, die mit einem Juden verheirat war, flüchtete vor der Verfolgung nach Südfrankreich. Richter nahm im Baskenland bis 1937 auf der Seite der anarchosyndikalistischen CNT-Milizen am Bürgerkrieg gegen den Franco-Faschismus teil, wurde 1941 nach dem Sieg Francos mit acht anderen Deutschen aus Spanien ausgewiesen, in Innsbruck von der Gestapo schon erwartet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt, wie Karl-Hermann Völker berichtete.


Einige Briefe von Karl Richter aus dem KZ Sachsenhausen, in das ihn die Gestapo nach seiner Rückkehr aus Spanien verschleppt hatte, sind noch erhalten geblieben.

Im Anschluss an den Vortrag bedankte sich Ruth Piro-Klein, stellvertretende Vorsitzende des Geschichtsvereins Frankenberg, bei Herrn Völker für das eindrucksvolle Lebensbild eines Frankenberger politischen NS-Opfers. „Es kann heute keiner mehr ermessen, wie viel persönlicher Mut damals dazu gehört hat, sich als Sozialdemokrat zu bekennen“, erklärte sie.

Tief bewegt nahm der 74-jährige Karl Kornemann aus Kassel im Heimatmuseum den kleinen Pappkoffer von seinem in Majdanek umgekommenen Patenonkel, den er nie mehr lebend kennen lernen durfte, noch einmal in die Hand. Der Frankenberger Geschichtsverein will sich beim Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig darum bemühen, dieses Erinnerungsstück als Dauerleihgabe für das Frankenberger Heimatmuseum zu erhalten und damit an beispielhaften Widerstand in der Nazizeit zu erinnern. Bereits am 22. März 2006 hatte der Aktionskünstler Gunter Demnig (Köln) vor dem Wohnhaus des Frankenberger NS-Opfers Karl Richter einen „Stolperstein“ verlegt.