„Mit Tränen in den Augen haben wir die Spritzen aufgezogen“. Die Geschichte der Krankenpflege in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus. Vortrag von Ruth Piro-Klein

Ruth Piro-Klein, 2. Vorsitzende des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, schilderte am 31.01.2023 um 19.30 Uhr in einem Bildvortrag den Mitgliedern und Gästen des Geschichtsvereins Gelnhausen die Rolle der Krankenpflege und ihrer Berufsorganisationen in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

 
 
Ruth Piro-Klein, Lehrerin und Leiterin des Bildungszentrums am Stadtkrankenhaus Korbach a.D., hat mit ihrem Vortrag an dieses dunkle Kapitel der deutschen Krankenpflege erinnern, stellte aber auch mutige Krankenschwestern vor, die Widerstand leisteten.
 

Die Pflegerin gilt seit dem 19. Jahrhundert als Helferin des Arztes, dessen Anordnungen sie widerspruchslos zu befolgen hatte. Dies führte dazu, dass auch die professionelle Krankenpflege an den Maßnahmen der Rassenhygiene beteiligt wurde. Die Pflegenden arbeiteten an staatlich geregelten geburtsfördernden Programmen zur Erhaltung und Förderung hochwertiger Erbanlagen für Erbgesunde ebenso mit wie an der Ausschaltung minderwertiger „Ballastexistenzen“. Die neuen Machthaber erkannten früh den Wert dieser Berufsgruppe für ihre Gesundheitspolitik. Vor allem in der ambulanten Pflege waren Pflegerinnen nützlich, da sie in den Familien tiefe Einblicke in die häuslichen Verhältnisse erhielten und so behinderte Kinder und von der Norm abweichendes Verhalten der Erwachsenen erkennen und melden konnten. Pflegende assistierten bei Zwangssterilisationen und bei der Vernichtung „Lebensunwerter“ in den T4-Anstalten. Den nicht immer „linientreuen“ Pflegeorganisationen wie z.B. der katholischen Ordenspflege und der Diakonie wurde eine neue Struktur entgegengestellt, die NS-Schwesternschaft. Zum Dank für die Mithilfe bei Maßnahmen der Rassenhygiene und der Tötung kranker Menschen wurde allen Pflegenden mit dem Krankenpflegegesetz von 1938 erlaubt, sich Krankenschwester zu nennen. Dieser Berufstitel war bis dahin nur Ordensfrauen und Diakonissen vorbehalten. Gleichzeitig wurden die jüdischen Pflegevereine ausgegrenzt und auf die Versorgung jüdischer Patienten reduziert. Am Ende des Nationalsozialismus steht die Krankenpflege in Deutschland wie viele andere Berufsgruppen vor der Aufgabe, dieses Kapitel ihrer beruflichen Geschichte aufzuarbeiten.