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Wolfgang Hermsdorff

Wilhelm IX. (1743-1821) und ein Denkmaltorso

Beim Mittagessen vor 200 Jahren auf Schloß Weißenstein (später: Wilhelmshöhe) beugte sich Landgraf Friedrich II. plötzlich ein wenig vor, führte noch die Serviette zum Mund - dann gab er seinen Geist auf. Der Tod dieses prachtliebenden Fürsten beendete für Hessen-Kassel eine ganze Epoche. Der Glanz des Rokoko war dahin. Mit dem Sterbetag Friedrichs, dem 31. Oktober 1785, folgte ihm sein ältester Sohn als Landgraf Wilhelm IX. (später Kurfürst Wilhelm I.) auf dem Kasseler Thron. Wilhelm war ein völlig anderer Typ Mensch als der Vater. Ebenso wie jenem lag ihm zwar die Fürsorge für die Untertanen sehr am Herzen; aber er war dazu sparsam, fast geizig, streng bis zur Härte und in seinen letzten Lebensjahren verständnislos gegenüber allen Neuerungen.

Seltsamerweise halten sich in den Köpfen der Menschen gelegentlich die Erinnerungen an negative Eigenschaften anderer eher als an gute. So werden die großartigen Leistungen Landgraf Friedrichs II. kaum registriert; aber das (damals allenthalben übliche) Vermieten von Militäreinheiten spült immer wieder hoch. Von Sohn Wilhelm weiß man, daß er nach siebenjähriger Abwesenheit von Kassel (die Franzosen waren 1806 ohne Kriegserklärung eingefallen) bei seinen Soldaten den Zopf wieder einführte und alles, was inzwischen an Modernisierung eingeführt war, rückgängig machte.

Wilhelm war 42 Jahre alt, als er 1785 die Regierung übernahm. Seine Jugend war ungewöhnlich verlaufen. Mit dem Vater durften er und seine Brüder über viele Jahre hinweg nicht zusammenkommen, weil Friedrich (entgegen der Landessitte) katholisch geworden war. 17jährig trat Wilhelm unter Vormundschaft seiner Mutter (der Prinzessin Maria von England) den Besitz der Grafschaft Hanau an. 1764 heiratete er Wilhelmine, die Schwester des dänischen Königs. Als er dann als Landgraf die Kasseler Residenz bezog, ging sein Wirken von Anfang an darauf hinaus, den materiellen Wohlstand im Lande zu fördern und den Untertanen neue Verdienstquellen zu eröffnen. Die Verwaltung seines Vermögens übertrug er dem Frankfurter Bankier Rothschild, der es klug zu mehren verstand.

Seinem Bedürfnis nach äußerer Schlichtheit folgend, verringerte er den üppigen Hofstaat des Vaters. Besonders getroffen wurden dadurch Oper, Ballett und Hofkapelle. Er verbot das Glücksspiel (das Kasseler und Marburger Lotto) und verkaufte die wertvolle Menagerie in der Aue. Mit einer beachtlichen Bautätigkeit wollte er seinen Namen unvergessen machen, aber auch den Bürgern Arbeit geben. Es entstand u.a. das Schloß Wilhelmsbad in Hanau, die Anlagen von Bad Nenndorf, der Gesundbrunnen in Hofgeismar, das Schloß Wilhelmshöhe (das seinen Namen trägt), dazu im Park neue Wasserkünste (Steinhofer-Wasserfall, Aquädukt, Teufelsbrücke) und die romantische Löwenburg, in der Wilhelm am 14. März 1821 beigesetzt wurde - am 27. Februar war er morgens um 6.30 Uhr im Bellevueschloß zu Kassel gestorben.

Die Stadt Kassel verdankte Wilhelm eine neue Brücke über die Fulda, die Wilhelmsbrücke. Ein gewaltiger Neubau, die Chattenburg, sollte das unter Jérôme abgebrannte Schloß ersetzen; Wilhelm starb über diesem Vorhaben, und der Nachfolger führte es nicht zu Ende. Den Kirchditmoldern baute Wilhelm eine Kirche. Für Kinder unbemittelter Kasseler Eltern stiftete er Freischulen. Allenthalben war man mit dem Landgrafen zufrieden, und die Bezeichnung Wilhelms als Bauernfürst zeugt für seine Beliebtheit auch bei der ländlichen Bevölkerung. Stolz war man, als das Reich ihn 1803 in den Kurfürstenstand erhob.

Dem Landgrafen Friedrich II. errichtete man schon zu dessen Lebzeiten ein Denkmal; bis heute ziert es den Friedrichsplatz. Ob man die Verdienste seines Sohnes, des Landgrafen und Kurfürsten Wilhelm, je durch ein Standbild in Kassel würdigte, blieb lange verborgen. Im Herbst 1902 entdeckten Arbeiter im Gebüsch des Hanau- [Hanauischen]

 

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