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mente [Argumente] Platz greifen. Die oberhessische Regierung hält die Einstellung israelitischer Lehrer an christlichen Schulen unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Ausbildung für möglich, und die niederhessische Regierung befürwortet sogar gesonderte israelitische Schulen mit einem dazugehörigen eigenen Lehrerseminar. Hier beweist doch die Bürokratie ein erstaunliches Maß an Flexibilität und Liberalität. Als Alternativen werden diese Vorschläge auch weiterhin in der Diskussion bleiben. Offen bleibt aber zunächst die Frage, welche Position die Ju den selber einnehmen.

Die Antwort ist nur zu erschließen aus dem niederhessischen Gutachten. Es stimmt in seiner ganzen Diktion und teilweise bis auf den Wortlaut mit einer Publika tion überein, die im Jahre 1832 unter dem Titel "Fragmente aus einer 'älteren' Denkschrift über die Organisation der israelitischen Gemeinden in den deutschen Bundesstaaten, namentlich in Kurhessen" erscheint.21) Ihr Verfasser heißt Jakob Pinhas. Da kaum anzunehmen ist, daß Pinhas aus dem nicht öffentlichen Gutachten abschreiben konnte, ist der Schluß gerechtfertigt, daß er der Regierung schon 1822 eine Denkschrift - eben die "ältere" - vorgelegt hat, in der er seine zehn Jahre später veröffentlichten Grundgedanken unterbreitet, und die die Gutachter übernehmen.

Jakob Pinhas, vormals Redakteur des Westphälischen Moniteur, jetzt Herausgeber der regierungsfreundlichen Casselschen Allgemeinen Zeitung und exponierter Vertreter der Kasseler Juden, nimmt den Faden dort wieder auf, wo Israel Jacobson ihn fallen lassen mußte. Wie dieser plant er eine jetzt in einem Landrabbinat zusammengefaßte kurhessische Gemeinde, beruhend auf einer liberalen Lehre, die den Juden den Kern ihres Glaubens beläßt, ihnen aber die Einbindung in die deutsche Kultur und Bildung erleichtert. Der Landrabbiner als Inhaber "des obersten Lehramtes" könnte so die "sukzessive Abstellung der in den Kultus eingeschlichenen Mißstände", die einer Annäherung der Konfessionen im Wege stehen, fördern und überwachen. Freilich erwartet Pinhas von den Rabbinern der alten "polnisch-deutschen Schule" keine Unterstützung, wohl aber von jüngeren Geistlichen und Schulmännern, "welche rabbinische Gelehrsamkeit mit der Blüthe europäischer Wissenschaftlichkeit und Kultur verbinden."21a); Vornehmlich von Schule und Erziehung erwartet er Fortschritte auf diesem Wege. Aber unter Berufung auf die Gewissensfreiheit fordert er besondere israelitische Schulen. Gemeinsam mit seinem Freund Moses Büdinger, einem in Kassel wirkenden Privatlehrer, vertritt er die Auffassung, daß in einer konfessionell geprägten, mit der Kirche verbundenen christlichen Schule die spezifischen jüdischen Glaubenselemente zu kurz kommen. Die Religion, die eigentlich die Mitte darstellen solle, rücke durch den isolierten Unterricht an den Rand, werde als Zusatz zum Profanunterricht als Belastung empfunden und somit abgewertet; die Trennung der Kinder fördere nicht, sondern verhindere eher eine Annäherung, weil sie die Verschiedenheit der Bekenntnisse ständig wachhalte; durch die Einhaltung der Sabbatge bote büßten die Kinder einen ganzen Schultag in der Woche ein, könnten dessen Pensum nicht wieder aufholen, blieben zurück und verlören so Lust und Liebe zum Lernen.

Daraus folgert Pinhas: "Wenn ein jedes Staatsmitglied schon Anspruch auf die Fürsorge des Staates in Betreff der Anstalten für seine Erziehung hat," sich aber beweisen läßt, "daß die Beschränkung der Juden auf den Besuch christlicher Schulen in religiöser, sittlicher und jeder anderen vernünftigen Hinsicht nur nachtheilig auf die Erziehung und Bildung bei ihrem eigentümlichen Verhältniß wirkt," so dürfte kein Sachkenner den Juden streitig machen, "eigene Schulen zu haben." Den Eltern stellt er aber frei, ihre Kinder in jüdische oder christliche Schulen zu schicken. Er selbst entwirft dann die Grundzüge eines israelitischen Schulwesens. Erforderlich wären: ein allgemeiner Schulplan, die Auswahl geeigne ter Orte, die Berufung tüchtiger Lehrer und die Prüfung und Einführung zweckmäßiger Schulbücher. Zur Finanzierung könnten die Talmud-Thorakasse, Schulgeld

 

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