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Die ganze Erziehungs- und Schulfrage wird letztmalig aufgerollt in einem Gut achten, das zwei Marburger Regierungsbeamte, Möller und Robert, im Auftrage des Innenministeriums zu erstellen haben. Den Anlaß dazu gab der § 29 der unter revolutionärem Druck vom Kurfürsten zugestandenen Verfassung vom 5. Januar 1831, der "den Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte" an das christliche Glaubensbekenntnis gebunden, somit die Israeliten wieder in eine Aufnahmesituation versetzt, ihnen aber versprochen hatte, ihre "besonderen Verhältnisse ... gleichförmig für alle Gebietsteile durch ein Gesetz" zu regeln.28) Unisono verlangen alle zu Stellungnahmen aufgeforderten Provinzial-Vorsteherämter29) die völlige Gleichberechtigung mit den christlichen Mitbürgern. Differenzierungen aufgrund von Glaubensbekenntnissen lehnen sie ab. Sie weisen darauf hin, daß Juden und Christen im Alten Testament eine gemeinsame Basis besitzen und die Spruchweisheiten des Talmud selbst bei den Juden umstritten sind und im Konfliktsfalle immer den staatlichen Gesetzen untergeordnet werden. Vor allem aber wenden sie sich gegen die Diskreditierung, die aus ihrem Bildungsgrad abgeleitet wird und besonders den "Nothändlern" die Bürgerrechte verwehrt. "Es gibt doch so viele Klassen von Menschen ... welche gewiß auf noch niederer Bildungsstufe stehen als jene Nothändler, und doch fällt niemandem ein, ihnen das Bürgerrecht zu entziehen." (Hanau)

Einig sind sich alle Vorsteherämter darin, daß ein gutes Schulwesen nötig ist, den Bildungsstand zu heben, uneinig aber in der Frage, ob dazu eigene oder christliche Schulen dienen sollen. Hanau befürwortet zwar den Besuch christlicher Schulen mit der Begründung, daß den israelitischen Gemeinden die Mittel fehlen und eine gemeinsame Erziehung Toleranz und gegenseitige Achtung fördert; für Gemeinden mit mindestens 25 Familien will es aber auch besondere israelitische Schulen unter der Bedingung zulassen, daß der Schulplan von den staatlichen Behörden "als vollständig befunden, die Lehrer alle gehörige geprüft worden sind und ihnen ein passendes Gehalt ausgesetzt ist." Lehrer sollten an einem mit dem christlichen vereinten Schullehrerseminar ausgebildet werden. Marburg beharrt auf seinem bekannten Standpunkt, daß mit gutem Willen und dem Bemühen um Eintracht auf beiden Seiten gemeinschaftliche Schulen mit christlichen und israelitischen Lehrern die beste Erziehung gewährleisten. Zur Bedingung macht es "die Bildung der beiderseitigen Lehrer in einer und derselben Anstalt", an der auch ein israelitischer Religionslehrer mitwirkt. Wie Hanau führt es neben den ideellen aber auch die finanziellen Argumente mit ins Feld. Das Vorsteheramt in Kassel lehnt in seiner von Pinhas mit unterschriebenen und auch wohl verfaßten Stellungnahme grundsätzlich eine konfessionelle Vermischung ab. Es faßt die schon früher angeführten Argumente, daß Schule und Kirche eng miteinander verbunden sind und ein gemeinsamer Unterricht die Gewissensfreiheit belaste in dem radikalen Satz zusammen: "Die Erziehung von Judenkindern in christlichen Schulen von Jugend auf ohne damit harmonisierenden Religionsunterricht ist nicht Erziehung, ist Abrichtung." Daran kann auch dem Staat nicht gelegen sein. Er "kann nur Menschen von in der Grundlage zusammenhängender Bildung wollen." Deshalb muß er "allen Unterricht der israelitischen Kinder, auch in der Religion, in einen öffentlichen, beaufsichtbaren Unterricht verwandeln", ihn nur von geprüften Lehrern erteilen lassen, dazu eine Prüfungskommission anordnen und ihr auch Privatlehrer unterwerfen. Am Seminar in Kassel können die Lehrer ausgebildet werden. Zur Erreichung dieses Zieles reicht die Verordnung von 1823 völlig aus, sie muß nur "mit gehörigem Ernst, Eifer und Nachdruck ins Leben treten." Das Vorsteheramt schlägt deshalb vor, "daß überall, wo in einer israelitischen Gemeindegenossenschaft sich nur Mittel dazu finden, eigene geprüfte Schullehrer für dieselben zur Ertheilung des gesamten Jugendunterrichts angestellt ... werden", und es fügt hinzu, daß es notwendig ist, "daß dieser wichtige und heilsame Gegenstand durch eine Bewilligung aus Staatsmitteln gefördert werde." In der Auswertung der Berichte wiederholen Möller und Robert noch ein mal die Versäumnisse der Regierungen, die die bürgerliche Erziehung der Juden sträflich vernachlässigt haben. Jetzt "dürfte unbezweifelt feststehen, daß in

 

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