..

-15-

Veränderungen zu genehmigen haben, stimmen den Vorschlägen des Vorsteheramtes meistens zu, üben auch indirekt Einfluß aus, indem sie auf die Wiederbesetzung freier Stellen drängen, mischen sich in die inhaltlichen Probleme aber wenig ein. Ob die Enthaltsamkeit auf Vertrauen oder auf Gleichgültigkeit beruht, sei dahingestellt. Daß das Seminar außer anläßlich der unter staatlichem Vorsitz stattfindenden Prüfungen jemals offiziell inspiziert worden ist, läßt sich bis zum Jahre 1853 nicht nachweisen.

Mißtrauen aber scheint 1853 mit im Spiel gewesen zu sein, als die Regierung den Oberschulrat Dr. Herwig schickt, das Institut zu überprüfen. Dasselbe wiederholt sich im nächsten Jahr. Beide Berichte Herwigs stimmen in ihrem Urteil überein: Der Lehrplan ist zu "wissenschaftlich"33) ausgerichtet. Im Schullehrerseminar sollte nur das gelehrt werden, "was der Seminarist später selbst lehren und selbst ausüben muß"; deshalb sind Fächer wie Geometrie, Weltgeschichte, Geographie und Naturkunde, soweit sie "weiter berücksichtigt werden als zum Verständniß der heiligen Geschichte und der Geschichte der Volksgenossenschaft nothwendig ist", fehl am Platze, denn sie gehören "nicht zur Volksbildung, sondern blos zu einer sogenannten Allgemeinen Bildung", die nur dazu dient, "ein oberflächliches Halbwissen zu erzeugen, das verderblich auf die Volksschule zurückwirken müßte". Das Seminar muß sich darauf beschränken, die Seminaristen anzuleiten, ihre mitgebrachten Volksschulkenntnisse zu vertiefen, sie methodisch umzusetzen und in der Schule anzuwenden. Da dem zukünftigen Lehrer in erster Linie das "Schulehalten" obliegt, hat für Herwig die Übungsschule "den Mittelpunkt für die Erlernung des Lehrgeschäfts zu bilden". Er moniert, daß es den Seminaristen an praktischer Erprobung mangelt und macht detaillierte Vorschläge für eine Ausweitung der Praxiserfahrung.

Mit diesem Monitum streift der Geist der Reaktion auch das israelitische Lehrerseminar, haben doch aus ihm hervorgegangene israeli[sche] Lehrer an der Seite des Realschulrektors Dr. Heinrich Gräfe in der 48er Revolution für eine bessere Volksbildung gekämpft und dadurch angeblich mitverschuldet, daß das Volk seinem angestammten Herrscherhause die schuldige Liebe und Treue versagt hat.34) ihre Ausbildung muß auf ein Niveau herabgeschraubt werden, das zukünftig solche Eskapaden verhindert; denn für die wahre Volksbildung kommt, wie Herwig meint, "das wissenschaftliche Interesse überhaupt nicht in Betracht".

Die Kritik an der ungenügenden Praxis akzeptieren Schulvorstand und Vorsteheramt; eine Änderung der "zu wissenschaftlichen Ausbildung" lehnen sie ab: "Ein öffentlicher Lehrer ohne Kenntnisse der Weltgeschichte, Geographie und Naturkunde dürfte kaum seiner Aufgabe gewachsen sein."35) Überblickt man die kurhessische Epoche des israelitischen Lehrerseminars, so ergibt sich, daß

    - das Provinzialvorsteheramt in Kassel erhebliche Anstrengungen unternimmt, für ein expandierendes Schulwesen - bis 1866 werden 66 Schulen errichtet - tüchtige Lehrer auszubilden,

    - der Staat zwar diesen Bestrebungen nichts in den Weg legt, zu den Kosten aber auch nicht das Geringste beiträgt,

    - eine einheitliche Lehrerbildung für den ganzen Kurstaat nicht zustandekommt, weil die Provinzen Marburg, Fulda und Hanau nicht mitziehen.

Als 1866 die Preußen kommen, hat das israelitische Seminar unter schwierigen Bedingungen 40 Jahre lang Lehrer für die israelitischen Schulen ausgebildet, die nach dem Urteil der Schulinspektoren vielleicht nicht besser, aber auch nicht schlechter "Schule halten" konnten als ihre christlichen Kollegen aus gut ausgestatteten Seminaren.

 

..