Arbeitsgruppe renommierter Historiker und Archivare einsetzte (Mitglieder: Prof. M.-L. Recker, Frankfurt; Prof. E. Conze, Marburg; Prof. D. van Laak, Gießen; Prof. W. Mühlhausen, Heidelberg; Prof. K. Eiler, Wiesbaden; Dr. A. Hedwig, Marburg – letzter als Koordinator). Die Arbeitsgruppe empfahl, in einer „Vorstudie“ die NS-Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter eingehender zu untersuchen; im nächsten Schritt sollte eine wissenschaftliche Tagungsveranstaltung die Ergebnisse diskutieren, um weiteren Forschungsbedarf zu identifizieren.
Der Marburger Historiker Albrecht Kirschner und ein kleines Forscherteam führte die Studie ab April 2012 durch, Ende 2012 legte er seine Ergebnisse vor: in einer Datenbank dokumentiert und in einem 70seitigen Abschlussbericht zusammengefasst, der auf der Homepage des Hessischen Landtags zugänglich gemacht wurde. Sowohl die Menge der ermittelten Archivbelege als auch deren Aussagequalität übertrafen deutlich die Erwartungen: Von den 403 ehemaligen Abgeordneten des Hessischen Landtags und der beiden Vorparlamente ab 1945 – erfasst wurden alle Mandatsträger bis Geburtsjahrgang 1928 –, besaßen 92 Personen vor 1945 ein Parteibuch der NSDAP, 13 von ihnen waren hauptamtlich in der NSDAP beschäftigt oder Parteifunktionäre. Für zwölf ehemalige MdLs konnten Mitgliedschaften in der SS und Waffen-SS nachgewiesen werden, darunter hohe SS-Ränge, aktive Dienste in SS-Totenkopf- und SS-Polizeieinheiten sowie Funktionen in zentralen SS-Ämtern. 26 ehemalige Abgeordnete waren Mitglieder der SA. Für 200 Personen der Untersuchungsgruppe konnten Mitgliedschaften in weiteren Partei- oder parteinahen Organisationen festgestellt werden, einige bekleideten bedeutende Funktionen. Zu immerhin 269 Personen konnten Entnazifizierungsunterlagen ermittelt werden, die u. a. zeigten, dass die Entnazifizierung verhältnismäßig milde durchgeführt wurde.
Mit Ausnahme der KPD hatten alle im Hessischen Landtag bis 1999 vertretenen Fraktionen frühere NSDAP-Mitglieder in ihren Reihen: 24 von ihnen waren SPD-Mitglieder, 24 CDU-Mitglieder, 27 Mitglieder der LDP-/FDP, 4 der NPD, 13 der BHE-Fraktionen und einer der Grünen. Der Anteil der ehemaligen NSDAP-Mitglieder unter den Mandatsträgern stieg von 1950 an signifikant, erreichte in der 5. Legislaturperiode (1962-1966) einen Spitzenwert von 34% und ging dann – vor allem altersbedingt – Schritt für Schritt zurück.
Zu beachten ist, dass die Vorstudie ein „tendenziöses“ Bild liefert. Ähnlich intensiv angelegte Forschungsaktivitäten unter der Fragestellung „Verfolgung und Widerstand“ würden einen ganz anderen Eindruck über das Verhältnis zur NS-Diktatur vermitteln. Die Studie dokumentiert einerseits Beispiele tiefer Verwicklungen in den NS-Partei- und Staatsapparat, andererseits darf die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden mit der Annahme einer ideologischen Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus, da formale „Bekenntnisse“ dieser Art auch vor Verfolgung schützen konnten.
Im Februar 2013 wurde die Studie im Landtag, dann auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie vorgesehen folgte am 14./15. März 2013 im Landtag eine wissenschaftliche Tagung, an der 190 angemeldete Historikerinnen und Historiker, Landtagsabgeordnete und Interessierte teilnahmen. Es referierten u. a. Udo Wengst, München, Wolfgang Benz, Berlin, Constantin Goschler, Bochum, Ulrich Herbert, Freiburg/Br., und Marie-Luise Recker, Frankfurt. Es
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