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[Gottstreu] treu bildet eine solche französische Bibel die einzige Erinnerung an die Vergangenheit. Aelteren Datums ist auch der noch jetzt benutzte Kirchenstempel Mariendorfs, der aus der Zeit stammt, in der es mit dem benachbarten Carlsdorf eine Pfarrei bildete. Ueber dem Bild des Gotteshauses schwebt eine Taube, einen Oelzweig im Schnabel; das Ganze umschliessen die Worte: Sceaux des églises françoises de Mariendorf et de Carlsdorf en Hessen.

Dass die Mariendorfer Colonie nun neben diesen Eigenthümlichkeiten auch noch den Gebrauch der französischen Sprache bewahrt hat, macht sie uns besonders interessant. Als die Vorväter der heutigen Colonisten nach Hessen kamen, war ihre Umgangssprache ein südfranzösisches Patois; daneben hatten sie aber eine gute Kenntnis derjenigen Sprache, in der bei ihnen gepredigt wurde und in der ihre Bibel und ihr Gebetbuch abgefasst waren, des Gemeinfranzösischen. Letzteres hat nun bald den Sieg über das Patois davongetragen. Bei Leuten, in deren Leben das religiöse Moment eine so hervorragende Rolle spielte, musste die Sprache, deren sich die Kirche bediente, schnell auch zur Umgangssprache werden. Ein Verkehr mit ihren Volksgenossen in den benachbarten Colonien, die zum Theil aus ganz anderen Gegenden Frankreichs stammten, war ferner mit Hülfe des Patois unmöglich. Dazu kam, dass die hessische Regierung, welche die Eigenart der Einwanderer fürsichtig schonte und ihnen deshalb auch gestattete, die Sprache ihrer Heimath als Schulsprache beizubehalten, schon aus praktischen Gründen nicht auf die verschiedenen Patois zurückgreifen konnte, sondern das Gemeinfranzösische als Unterrichtssprache ansetzte. In Neu-Hengstett ist das Umgekehrte passirt; der waldensische Dialect hat sich dort als so stark erwiesen, dass er das Gemeinfranzösische erstickt hat. „Das Französische schwand schneller als das Waldensische, weil es eben nur ein künstlich erhaltenes Element war; heute gibt es in Neu-Hengstett nur noch wenige alte Leute, die eins ihrer alten (gemeinfranzösisch abgefassten) Gebetbücher studiren können. In Hessen nahmen in ganz kurzer Zeit alle Colonisten, soweit sie überhaupt ein Patois gesprochen hatten, das Gemeinfranzösische

 

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