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schauen, die neben der blassrothen Primel Wilhelms und dem Goldlack und Heliotrop Jacobs dieser hessischen Brüder Lieblingsblume war: die Bescheidenheit.

„Nachgelesene Ähren vermacht Jacob Grimm in der Vorrede zur deutschen Mythologie dem, der nach ihm mit Ausstellung und Erndte des grossen Feldes im vollen Zug kommen wird.“

Ein Land, dessen grösster Schmuck noch heute wie zu den Zeiten des Drusus und Germanicus sein Waldreichthum ist, lässt mit seinen stillen Wäldern die Kinder einer rasch lebenden Zeit dankbare Rückschau halten auf ihre Erholungszeit, aber auch dem suchenden Blick nach vorwärts, der sich und seinem Volke eine ideale Lebensauffassung wünscht, rauscht es darin aus den Zeiten der Altväter von dieses Wunsches Erfüllung.

Nur abgeblasste Ahnungen sind uns Nachgeborenen von den zahlreichen Göttergestalten des Waldes erhalten geblieben, aber immerhin noch so stark, dass die Frage berechtigt erscheint, ob es wirklich nur Sorge um unser oft recht windiges, zeitliches Gut oder um unser liebes Ich ist oder nicht vielmehr die Erbschaft göttergläubiger Ahnen, die wir verspüren, wenn wir einsam und verlassen, vielleicht gar bei heraufkommendem Abend, durch einen dichten, tiefen Wald müssen?

O heiliger Mutterschoss des Waldes! aus welchem nicht nur der Sänger der Odyssee, sondern auch die nordische Edda die Menschen hervorgehen lässt, wie denn in der deutschen Sprache die sämmtlichen Waldbäume weiblichen Geschlechtes sind; und von Beseelung der Bäume erzählt uns noch heute das Märchen vom Machandelboom, von ihren Gaben das andere vom Aschenputtel. Kinderlieder aber haben den alten Gedanken auf uns gebracht, dass die Sachsen auf den Bäumen wachsen. O hehre Waldesfreude ! deren Wurzel die Ehrfurcht vor der schaffenden und webenden Gottheit, deren Frucht das Waldesheimweh war!

Und nicht nur die Einzelnen, sondern ganze Fakultäten fanden sich im Walde, die medizinische bei den heute noch bekannten Nadelöhren, deren Erhaltung in der Form eines Steines an der Strasse von Hönebach nach Friedewald wir dem Landgrafen Moritz verdanken, die juristische bei den unbehauenen Steinen der Ding- und Malstätten, die philosophische bei den Birken und ihren werthvollen Zweigen, auf welche noch Mitte des 17. Jahrhunderts ein Schulmeister zu Erksdorf, Amts Neustadt, die Schüler mit den Worten schwören liess:

                                    O, du liebe Ruth,

                                    Mache du mich gut,

                                    Mache du mich fromm,

                                    Dass ich nicht zum Henker komm!

und endlich die theologische in den alten Cultusstätten und nach ihnen in den Einsiedeleien und Waldkapellen.

Noch heute kann ein aufmerksamer Beobachter der Sitten es in unsern Hessendörfern erleben, dass besorgte

 

 

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