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Heimat übertragen, sich massenhaft wiederfinden lassen26). In der „rechten Schmalzgrube“ des Hessenlandes, wie der Chronist Winckelmann unsere Gegend nennt, reizte es die Leute nicht zum Auswandern.

Die blutigen Heerzüge Chlodwigs und seiner Nachfolger und die frommen Predigten Winfrieds haben gemeinschaltlich dem Weltreich Karls des Grossen den Boden bereitet. Nunmehr da sich an der Stätte, wo die Donnereiche gestanden, der Dom in Fritzlar erhob und zum kirchlichen Mittelpunkte des fränkischen Hessengaues wurde, da fuhren die Götter grollend von den Höhen ihrer Berge hinweg. Auf der Klippe des Lamsberges noch einmal Haltmachend, blickte der Donnergott zurück und warf, den frommen Kirchenbau zu stören, einen gewaltigen Steinblock nach Fritzlar hinüber. Aber der Engel Gabriel hielt Wache, und von seinem Schild aufgefangen fiel der Stein nieder ins Feld bei Maden, wo er noch steht, hoch aufgerichtet den Abdruck einer Hand dem phantasievollen Beschauer erweisend, — der Pseudomalstein des Gaugerichts.27) Die Sage hat aus dem Heidengotte den Teufel, neuerdings auch den grossen Christoph als stereotypen Vertreter aller Riesen gemacht. Allein der Kampf zwischen der alten und der neuen Zeit, zwischen dem alten und dem neuen Mittelpunkte des Gaues, den der Steinwurf symbolisch zum Ausdrucke bringt, schlug in der That zu gunsten der letzteren aus: es schien eine Zeit, als sollte Fritzlar der Hauptort des Hessenlandes werden. Das hochberühmte Grafenhaus der Konradiner, das im 9. und 10. Jahrhundert im Hessen-und Lahngau und in der Wetterau das Grafenamt verwaltete, muss, wenigstens was die ältere Linie anbelangt, zu Fritzlar seinen Sitz gehabt haben28). Bekanntlich hat dieses Geschlecht in einem seiner letzten Sprossen, in Konrad I., dem fränkischdeutschen Reiche den letzten König aus fränkischem Blute gegeben, ehe die Krone an die Sachsenherzöge überging. Dieser Übergang vollzog sich (919) zu Fritzlar in glänzender Reichsversammlung, indem des verstorbenen Königs Konrad Bruder Eberhard, nunmehr Graf in Hessen und im Oberlahngau und Herzog von Franken, den Herzog Heinrich von Sachsen mit den Insignien der königlichen Macht bekleidete29). Zum Dank dafür von König Heinrich stets als eine der Säulen des Reiches geachtet, endete Eberhard im Kampfe mit Heinrichs minder dankbarem Sohne Otto als Rebell bei Andernach am Rheine im Jahre 93930). Die Grafschaft im Hessen- und Oberlahngau war damit frei und der König konnte nach seinem Belieben darüber schalten.

Den Hessengau hat nun, wie sich trotz der spärlichen Nachrichten fast zur Evidenz ergibt, zunächst ein Seitenverwandter Herzog Eberhards — denn die Verwandten hatten bei dem Sturze des Mannes nur allzu hülfreiche Hand geleistet, — nämlich Herzog Hermann von Schwaben erhalten, und dieser vererbte die Grafenwürde in Hessen wiederum zusamt dem schwäbischen Herzogtum auf König Ottos ältesten Sohn Liudolf, der Hermanns einzige Tochter zur Ehe hatte31). Aber im Frankenvolke zuckte der Groll über die Demütigung, die Otto bei mehr als einer Gelegenheit dem einst herrschenden

 

 

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