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und Mädchen aus demselben Taufwasser getauft werden ; entweder muss eins von den Kindern sterben, oder das Mädchen bekommt, was noch schlimmer ist, einen Schnurrbart. Da ich das Kapitel des Aberglaubens berührt habe, will ich hinzufügen, dass z. B. Blutbesprechen, Vieh verhexen, der Glaube an Besessenheit heute noch im Schwunge sind, als lebten wir im tiefsten Mittelalter. So gab es dort auch einen Mann, der machte einen „freien Verband“ über Wunden, d. h. er strich unter Hersagen von Formeln einige Male über die verletzte Stelle, wobei aber etwas von dem vergossenen Blute nicht fehlen durfte, und sofort hörten sowohl die stärksten Blutungen als auch die rasendsten Schmerzen völlig auf. Von den glaubwürdigsten Leuten sind mir Thatsachen berichtet worden, dass ich an ihrer Wirklichkeit zu zweifeln, keinen Anlass habe. Um krankes Vieh zu besprechen, gibt es in jeder Gemeinde Männer und Frauen. Selbstverständlich gibt es auch noch Leute mit dem bösen Blick, die man nur ungern dem Viehstall sich nähern lässt. Bei Krankheiten besass lange Zeit „die weise Frau von Peckelsheim“ mehr Vertrauen als 20 Aerzte zusammen. Vor bösen Geistern herrscht noch grosse Furcht, und nachts am Totenhof vorbei zu gehen, setzt immer schon eine grosse Dosis Mut voraus. Dass jeder Freimaurer vom Teufel geholt wird, darüber herrscht keinerlei Zweifel.

Der vorhandene Aberglaube hindert die Leute aber durchaus nicht, sich einer ausserordentlichen Kirchlichkeit zu befleissigen. Das sind ganz spärliche Ausnahmen, die sich vom kirchlichen Leben ferne halten, und ich bin oft einer tiefen, warmen und wahren Religiosität begegnet. Den Meisten ist ihr Glaube doch Herzensache. Rühmend hervorheben muss ich die unbedingte Ehrlichkeit der Bevölkerung. Diebstahl kommt kaum oder wenigstens nur sehr selten vor. Es gibt dort keine verschlossene Gärten, aber gestohlen wird nichts daraus. Wenn die Leute ihr Haus verlassen, schliessen sie es häufig gar nicht ab, sondern stecken ein Stück Holz quer durch den eisernen Thürhaken, zum Zeichen, dass niemand daheim ist und jedermann respektiert das Wahrzeichen. Die Wäsche bleibt ruhig des Nachts draussen, und viele schliessen nicht einmal nachts die

 

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