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sem [diesem] Ort sich niedergelassen." Die Vermutung liegt nahe, daß dies nicht nur in Schenklengsfeld so gewesen ist, sondern auch in anderen "Judendörfern" unserer Heimat. Eine genauere Auswertung des Briefes wird in einer größeren Arbeit über die Schenklengsfelder Juden demnächst zu finden sein.

Waldemar Zillinger

 

Die Bedeutung der Stadtgeschichte für die Geschichtsschreibung

Stadtgeschichte ist alles andere als ein Randthema der Geschichtsschreibung. In den modernen industrialisierten Gesellschaften ist die Stadt der bevorzugte Lebensraum; in der Bundesrepublik etwa wohnten 1966 rund 57 % der Bevölkerung in Gemeinden von mehr als 10.000 Einwohnern, in Größenklassen also, die man mit guten Gründen als städtisch geprägt bezeichnen kann. Aber die Stadt ist nicht nur die für die Industriewelt charakteristische Siedlungsform, sie reicht weit in die Geschichte zurück. Die Archäologen haben ihren Ursprung inzwischen bis ins 8. oder 9. Jahrtausend vor Christus zurückverfolgt; zu den ältesten städtischen Siedlungen gehören Jericho im Jordanland oder Catal Hüyük in Kleinasien. Zehntausend Jahre Stadtgeschichte in fünf Kontinenten also breiten sich vor uns aus - ein weites Feld für vergleichende Betrachtungen unter dem Titel "Die Bedeutung der Stadtgeschichte für die Geschichtsschreibung".

Hier wird das Thema auf Deutschland beschränkt, wo die Lebensform Stadt erst zwei Jahrtausende hinter sich hat und wo sie erst in den letzten anderthalb Jahrhunderten zu breitester Entfaltung gelangt ist. Welche Bedeutung hat, so sei gefragt, die Beschäftigung mit der historischen Dimension unserer Städte für die Entfaltung unseres Geschichtsbildes?

Stadtgeschichte gewinnt ihren eigentlichen Rang erst in der Vergleichung. Demgegenüber war das Interesse an der Erforschung der jüngeren Vergangenheit sehr lange wesentlich geringer. Zwar brachten die beiden letzten Jahrzehnte hier eine entscheidende Wende, aber die Wissensdefizite sind nach wie vor groß, und erstaunlicherweise sind die Dezennien, in denen sich die Stadt der Gegenwart entwickelte, kurz: das 19. Jahrhundert, bislang am wenigsten bearbeitet.

In den Anfängen waren die Stadthistoriker überwiegend rechtsgeschichtlich orientiert. Im Laufe der Zeit wurden die Fragestellungen dann immer differenzierter und bezogen Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte in vielfältiger Form mit ein. Die Entwicklung führte schließlich dahin, daß auch die neuere Geschichte der Städte erheblich an Interesse gewann. Als sich die deutsche Geschichtswissenschaft vor etwa 25 Jahren anschickte, verstärkt Strukturen zu erforschen, als sie einige Zeit danach auch daran ging, dem Alltagsleben mehr Aufmerksamkeit zu widmen, konnte an der Stadtgeschichte auch des 19. Jahrhunderts nicht mehr vorübergegangen werden.

Es erwies sich, daß die Erforschung der kommunalen Vergangenheit eine bedeutende Funktion für die allgemeine Geschichtsschreibung hat. Die vielfältigen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Daten, die für eine strukturgeschichtliche Betrachtungsweise nötig sind, die vielerlei Beobachtungen, deren die Rekonstruktion des Alltagslebens bedarf, können sinnvoll nur im übersehbaren Raum einer Kommune oder einer Region gewonnen werden. Was im Rahmen der Agrargeschichte für die Landbevölkerung schon längst getan wurde, das erwies sich jetzt auch für die Stadt- und Ortsgeschichte als notwendig. Beide Teildisziplinen liefern gleichsam die Basis für eine Aufarbeitung der Vergangenheit mit modernen Fragestellungen. 

 

 

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