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Karl-Hermann Wegner

Erbe und Tradition

Eindrücke vom gewandelten Geschichtsbewußtsein in der DDR

Der Zweigverein Kassel des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde führt jedes Jahr - seitdem dies möglich ist - eine historische Exkursion ins benachbarte Thüringen durch. Zunächst wurden Ziele besucht, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der hessischen Geschichte stehen, wie Frauensee, Frauen- und Herrenbreitungen, Barchfeld, Schmalkalden, die Fuldaer und Hersfelder Klosterorte und -lehen, Erfurt, Mühlhausen, Frankenhausen und das Eichsfeld, dann aber auch Orte von allgemeinem historischen Interesse wie der Kyffhäuser oder Quedlin burg und Gernrode. Die Begegnung mit der so nahen und dennoch ferngerückten deutschen Geschichte wird immer wieder von allen Teilnehmern als große Bereicherung und wichtige Aufgabe unserer Arbeit empfunden, über das Besichtigen und Kennenlernen bedeutender historischer Stätten hinaus fordert die nun seit Jahren beobachtete Geschichts- und Denkmalpflege im anderen Deutschland zur Auseinandersetzung heraus: Hier begann ein Prozeß, der gerade bei einem Geschichtsverein höchste Aufmerksamkeit erwarten läßt; denn es ist offensichtlich, daß die DDR die Bedeutung von Geschichtsbewußtsein und Geschichtspflege für die Politik erkannt hat und nun für ihre Zwecke zielgerichtet einsetzt.

Sehr lange hat die SED in der Sowjetzone und in der DDR auch nach außen das ver einfachte Geschichtsbild der "Arbeiter- und Bauernmacht" vertreten. Es gründet sich auf die als Wissenschaft aufgefaßte Lehre des Marxismus-Leninismus (historischer Materialismus) und sieht die Geschichte als Folge von Klassenkämpfen. Mit dem Sieg über die herrschende Klasse 1945 glaubte man, sich auch von deren historischem Erbe befreien zu können: 1950 Sprengung der Stadtschlösser von Berlin (nur beschädigt, zunächst noch für wechselnde Kunstausstellungen benutzt) und Potsdam, Beseitigung monarchischer und militärischer Denkmäler, bis hin zur Sprengung der Augustiner- und Universitätskirche in Leipzig und der Garnisonskirche in Potsdam (beides unter großem internationalen Protest noch 1968). Entsprechend war die offizielle Literatur, beispielhaft der Fremdenführer von Potsdam (1970): "Potsdam, einst Symbol des nationalistischen Herrschaftsdünkel, preußischen Drill und Untertanengeist ... Wir haben ... die Herrschaft der Monopole beseitigt, das Junkertum enteignet, den Militarismus mit seiner Wurzel ausgerottet. Der 'Geist von Potsdam` ... ist tot". Im (Seite 12) näher behandelten Katalog "Barock und Klassik, Kunstzentren des 18. Jahrhunderts in der Deutschen Demokratischen Republik" (1984), in dem Potsdam ausführlich behandelt wird, sucht man das Stichwort "Geist von Potsdam" vergebens, sondern die Würdigung Potsdams faßt zusammen: "Das fridericianische Potsdam war wohl beides, wie ... Voltaire feststellte: 'Athen und Sparta, Feldlager und Garten Epikurs, Trompeten und Violinen, Krieg und Philosophie 1 ." Zwischen den beiden Zitaten von 1970 und 1984 liegt ein grundsätzlicher und sehr folgenträchtiger Wandel im Geschichts bewußtsein der DDR.

Der Wandel vollzog sich allmählich und kann beispielhaft an der jüngsten Ge schichte des Denkmals König Friedrichs II. von Preußen, des Großen, von Christian Rauch deutlich werden: 1950 wird das gut erhaltene Denkmal Unter den Linden in Berlin, nachdem es zunächst von Propagandaflächen eingeschalt war, abgebrochen und an einer entlegenen Ecke des Parkes von Sanssouci bei Potsdam hinter Büschen ohne irgendwelche Sorgfalt in seinen Einzelteilen abgelegt. 13 Jahre später besinnt man sich des Kunstwertes des Denkmals und baut es auf dem Hippodrom, weitab von den Touristenströmen, wieder auf. 1980 zieht es in alter Pracht wieder an seinen alten Standort Unter den Linden, und anläßlich der Wiederaufstellung feiert Erich Honnecker den Preußenkönig als "Friedrich den Großen". Inzwischen war die Straße Unter den Linden in Berlin wieder zur "Via triumphalis" der preußischen Geschichte geworden (Wiederherstellung der Schloßbrücke, des Kronprinzenpalais, Prinzessinenpalais, Prinz-Wilhelm-Palais mit historischem Eck- [Eckfenster]

 

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