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Das mag hart klingen, doch wäre ohne eine solche Maßnahme die soziale Frage des 19. Jahrhunderts (der sogenannte "Pauperismus", wie von den Zeitgenossen die ihnen unerklärliche Erscheinung genannt wurde) noch viel weniger zu lösen gewesen, als es ohnehin schon der Fall war. Unser Schreiben gewährt aber noch weitere Einblicke in die Gesellschaftsstruktur des 19. Jahrhunderts.

Crandefeld sei als Beisitzer hier aufgenommen, schreibt der Grifter Bürgermeister ferner. Um diesen Ausdruck (Beisitzer) verstehen zu können, muß man zur kurhessischen Gemeindeordnung von 1834 greifen. Da steht im § 33, daß als Beisitzer solche Gemeindeglieder gelten, welche wegen Mangels an gesetzlichen Voraussetzungen von dem Erwerbe des Bürgerrechts und deshalb von den den Bürgern zustehenden Rechten, namentlich der Stimm- und Wahlfähigkeit, ausgeschlossen . . . sind . Bürger aber konnte man nur werden, wenn man ganz bestimmte Bedingungen erfüllte. Man mußte z. B. ein eigenes Wohnhaus besitzen, dazu eine Familie ernähren können und ein Jahreseinkommen von mindestens 100 Talern in kleinen und von 300 Talern in größeren Städten über 3 000 Einwohnern vorweisen (Hersfeld gehörte also zu den bedeutenderen Orten des Kurstaates!). Wer nicht über das vorgeschriebene Vermögen oder die entsprechend hohen Einkünfte verfügte, konnte mithin auch nicht das Bürgerrecht erwerben und damit den Vollgenuß aller derjenigen Rechte, welche innerhalb des Gemeindeverbandes zustehen können1.

"Besitzwahlrecht"

Diese Bestimmungen sind typisch für die Verhältnisse in vielen Ländern während des 19. Jahrhunderts. Überall gab es nur ein eingeschränktes Wahlrecht zugunsten des Besitzbürgertums, das sogenannte Zensuswahlrecht (lat. census gleich Besitz). Für Grandefeld, der nur kurze Zeit im Kurstaat Hessen bleiben wollte, spielte es natürlich gar keine Rolle, ob er nun wahlberechtigt war oder nicht. Als Ortsfremder hätte er übrigens in Grifte 200 Taler schuldenfreies Vermögen (nicht unbedingt Hausbesitz), in Hersfeld aber schon ein solches von 400 Talern vorweisen müssen, wollte er sich um das Bürgerrecht bemühen. Nun, unserem jungen Mann genügte es völlig, Beisitzer zu werden. Heiraten konnte er seine Minna auch so.

Doch noch ein dritter Punkt muß hier besprochen werden, denn wie man sieht, hatte auch das kurfürstliche Landratsamt in Fritzlar bei der Angelegenheit ein Wörtchen mitzureden. Da lesen wir nun neben manchen nebensächlichen Dingen, daß Grandefeld im Jahr 1867 zur Militairausnahme kommen solle.

Diese Bemerkung hört sich für den 4. September 1866 wirklich etwas unzeitgemäß an. Immerhin standen seit Ende Juni die Preußen im Land, das Kurfürstentum Hessen war im deutsch-deutschen Krieg 1866 zwischen Österreich und seinen Verbündeten auf der einen und Preußen auf der anderen Seite sang- und klanglos untergegangen. Und schon betrieb man in Berlin die Vorbereitungen für die Annektion des Hessenlandes. Sie wurde bereits vier Wochen später, am 8. Oktober 1866, verkündet2. Und genau in diese politisch so aufgeregte Zeit fällt unser Dokument.

Wer konnte im Herbst dieses Jahres denn noch im Ernst daran glauben, daß

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1 AaO., § 25, 1.

2 Näheres siehe Demandt: Geschichte des Landes Hessen (Kassel 1972 2 ), S. 576.

 

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