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den. [werden]1 Abgesehen von der Vereidigung des Militärs, die keine Landesverfas sung des 19. Jahrhunderts kannte, war auch die Vereidigung der männlichen Bevölkerung des Kurstaats eine einmalig gebliebene Vorschrift. Sie war schon insofern sonderbar, als es in dem gleichen Paragraphen zunächst hieß, diese Verfassungsurkunde trete in ihrem ganzen Umfange sofort nach ihrer Ver kündigung in Kraft und Wirksamkeit. Auch wenn den liberalen Verfassungs vätern der Wunsch, die Verfassung als Vertrag zwischen Fürst und Volk er scheinen zu lassen, nicht fremd war, konnte der Vereidigung nur eine be stärkende Wirkung zukommen, die allerdings mit der Pflicht zur aktiven Ver teidigung der Verfassung verbunden war. So kannte denn auch die spätere Geschichte des Kurstaates, insbesondere in den verhängnisvollen Jahren von 1850 bis 1852, opferbereite Treuebeweise gegenüber der Verfassung von 1831, die ohne die weit gefaßte Vereidigung auf die Verfassung schwer verständlich sind.

Die Vereidigung der kurhessischen Bevölkerung - auf dem Lande durch die Kreisräte, in den Provinzhauptstädten durch Deputierte der Regierungen - ist im großen und ganzen mit gebotenem Anstand und ohne auftauchende Probleme erfolgt. Aber der Neigung überanstrengter Kommissare, die Vereidigungsprozedur als "bürokratische Pflichtübung" hinter sich zu bringen, standen die Gewissensängste einzelner oder ganzer Gemeinden gegenüber, die nach dem allgemeinen Jubel über das Inkrafttreten der Verfassung erst durch den ihnen abverlangten Eid zu einem ernsten Nachdenken über die neue Grundordnung veranlaßt wurden. Besondere Probleme bereiteten die Fälle, in denen die Eidesverweigerung - wie bei einem Teil der katholischen Bevölkerung im Fuldischen - auf Vorbehalten gegen den Inhalt der Verfassung oder auf Mißtrauen gegen die Verwirklichung ihrer liberalen Programmsätze beruhte.

Weniger dramatisch waren die Fälle, in denen die Untertanen die Vereidigung nur verzögerten, weil sie die gut einstündige Verlesung der Verfassung durch die Ortsbehörden akustisch oder inhaltlich nicht verstanden hatten. Diese Anstände hätten sich in der Regel vermeiden lassen, wenn die Verfas sungsväter wie die ausführenden Beamten ein besseres Gefühl dafür gehabt hätten, welches Opfer sie dem einfachen Mann in der kalten Jahreszeit durch das eher hektisch anberaumte Vereidigungsverfahren abverlangten. Wie schön also, daß es in einem Gemeinwesen, das den reinen Untertanenstaat gerade abzustreifen begann, doch einige gab, die sic h nicht zu einem blind akklamie renden "Herdentier" degradieren lassen wollten. Hier zwei markante Beispiele. In einer Eingabe eines Fuldaers an die Kasseler Landesregierung hieß es:2

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1  Darüber: Rainer Polley: Die Vereidigung des kurhessischen Volkes auf die Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 32, Marburg 1982, S. 271 - 287. - Ders. : Die Kur hessische Verfassung von 1831, Marburg/Lahn und Witzenhausen (Marbur ger Reihe 16), S. 5 f., 56. - Übergreifende Würdigung durch: Hellmut Seier: Zur Entstehung und Bedeutung der kurhessischen Verfassung von 1831, in: Der Verfassungsstaat als Bürge des Rechtsfriedens, hrsg. von Walter Heinemeyer, Marburg 1982 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 46, 1), S, 5 - 71.

2  Hess. Staatsarchiv Marburg, Best. 16 Rep. II Kl. 28 Nr. 6 (Fulda).

 

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