..

7

Daß dem Regierungskollegium die Nerven durchgegangen waren, hatte seinen kühlen Grund: Im Waldeckischen hatten im Stande der Bürgerlichen grundsätzlich nur die Beamten vom Range des Regierungsrats an aufwärts ein Anrecht darauf, in amtlichen Verlautbarungen mit "Herr" angeredet zu werden.

Gegen diese barsche Regierungsverfügung beschwerte sich Simon Wittgenstein unter dem 10. August 1839 beim Landesherrn, dem Fürsten Georg Heinrich von Waldeck und Pyrmont. Dieser forderte am 13. September 1839 einen Bericht der Regierung. Sie gab sich selbstsicher und stellte am 19. September 1839 den ehrfurchtsvollen Antrag dahin [,...] den Querulanten mit seiner ungegründeten Beschwerde anzuweisen. Doch sie sollte einen peinliche Überraschung erleben. Der Landesherr verfügte am 26. September 1839:

Allerdings paßt der Kurialstil unserer Regierung nicht mehr in die jetzige Zeit und fällt gegen den höflichen anderer Staaten Fremden sehr auf. Wir wollen ihn daher den Zeiten angepaßt wissen und erwarten baldmöglichst die gehörigen Vorschläge.

Die Regierung veranlaßte daraufhin eine Umfrage über den Kurialstil, d. h. den Stil des monarchischen Behördenapparates, in den Königreichen Hannover und Preußen, im Großherzogtum Hessen und im Kurfürstentum Hessen, wohl in der Hoffnung, dadurch wieder Oberwasser zu bekommen. Dabei stellte sich heraus, daß Preußen gegenüber seinen Untertanen der höflichste Staat war, da dort alle Personen in amtlichen Verfügungen mit "Herr" angeredet würden, denen dieses Prädikat im gewöhnlichen Leben gegeben werde. Während die Gepflogenheiten in Kurhessen mit denen in Waldeck übereinstimmten, war die Verwendung des Prädikats "Herr" in Hannover und in Hessen-Darmstadt wesentlich reservierter. In ihrem Bericht vom 29. Januar 1840 glaubte die Waldeckische Regierung deshalb - nach dem Prinzip des arithmetischen Mittels - alles beim Alten belassen zu können; damit wäre auch ihre Haltung im Falle des Simon Wittgenstein unanfechtbar geblieben. Doch der Landesherr hatte diesen Streit nicht vergessen. Mit Erlaß vom 6. Februar 1840 gab er nicht nur dem Kaufmann Recht, sondern dämpfte auch den Dünkel der Regierungsräte gegenüber den Beamten geringeren Ranges:

Wir genehmigen die Vorschläge unserer Regierung mit der weiteren Bestimmung, daß den Assessoren der Collegien das Prädikat "Herr" ebenfalls zu ertheilen ist. Auch ist bei Ausfertigung von Pässen ins Ausland an solche Personen, welchen das Prädikat "Herr" im gewöhnlichen Leben nicht zu versagen ist, dasselbe zu gebrauchen.

Damit war in Waldeck erstmals auch einem inländischen Bürgerlichen, der nicht höherer Beamter war, das Prädikat "Herr" in amtlichen Schreiben zugestanden worden. Damals mußte dies noch durch besondere landesherrliche Weisung gegen den mächtigen Behördenstab durchgesetzt werden. Erst im Revolutionsjahr 1848 ging eine weitere Liberalisierung in der Verwendung des Prädikats "Herr" von der Regierung selbst aus.

 

..