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Stefan Arend

Die Gleichnisübersetzungen in Kasseler Mundart von Jacob Grimm aus dem Jahre 1816

Die Dialekte in Nordhessen und die Mundart der Stadt Kassel werden in der sprachwissenschaftlichen Fachliteratur als wenig erforscht bezeichnet. Der bekannte Dialektologe Peter Wiesinger (Wien) spricht zum Beispiel davon, daß die Grundlagen und die Entwicklungsgeschichte des sogenannten Nordhessischen noch genaueren Untersuchungen bedürfen. Hans Henning Smolka stellte bei seinen Forschungen zur Umgangssprache in Nordhessen fest, daß zum Beispiel für die Erfassung der Mundart von Kassel bisher geringes sprachwissenschaftliches Interesse gezeigt wurde. Und schließlich sprechen Friebertshäuser/Dingeldein im Umkehrschluß von einer "dringenden Notwendigkeit", die Dialekte m Nordhessen repräsentativ zu erfassen.

Dieses offensichtliche Desiderat an Forschungsergebnissen erscheint umso erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, daß es sich bei der nordhessischen Dialektlandschaft um eine sprachwissenschaftlich sehr interessante Region handelt, die der Marburger Sprachwissenschaftler Heinrich J. Dingeldein - im positiven Sinne - zu den Problemfällen der hessischen sprachlichen Landesforschung zählt, da sich hier mehrere großräumige Dialektgebiete berühren und sich mehr oder minder deutlich voneinander abgrenzen.

Dingeldein führt dazu im einzelnen aus: "Nicht erst seit Peter Wiesinger [...] den niederhessischen [...] Mundartraum dem Ostmitteldeutschen zuschlug, zählt der Berührungsbereich des Ost- und des Westmitteldeutschen im nordöstlichen Hessen zu den 'Problemfällen' der hessischen sprachlichen Landesforschung. Schließlich handelt es sich nicht nur um die Berührungszone der beiden 'mitteldeutschen' Subspezies des Deutschen, im gleichen Gebiet haben auch das Oberdeutsche und das Niederdeutsche ihre größte geographische Nähe".

Doch der erkennbare Mangel an sprachwissenschaftlichen Untersuchungen und das bisherige geringe Bemühen um eine dialektologische Erforschung der Mundarten in Norhessen [Nordhessen] impliziert kein generelles Desinteresse an der gesprochenen Sprache im nördlichen Hessen. Wenn auch nicht (im Gegensatz zu anderen hessischen Sprachlandschaften) wissenschaftlich untersucht wurde, wie die gesprochene Sprache in Nordhessen funktioniert, welche grammatischen Regeln ihr zugrunde liegen oder welche Wörter verwendet werden, dem Volk aufs Maul geschaut wurde auch in Nordhessen.

Bereits aus dem Jahre 1816 liegt eine Dokumentation der Mundart von Kassel vor, die zu den ältesten Zeugnissen über einen hessischen Dialekt zählt. Am 9. Juni 1816 wandte sich der Sprachforscher Johann Gottlieb Radlof (1775-1824) an Jacob Grimm und bat diesen um Mitarbeit an einem "Sprachatlas". Radlof plante, in möglichst vielen deutschen Landschaften die aus der Bibel entnommenen Gleichnisse "Vom Sämann" (Markus IV, 3,8) und "Vom verlorenen Sohn" (Lucas XIV, 11-32) in die jeweilige Mundart übertragen zu lassen und so in anschaulicher Form die Verschiedenheit der deutschen Dialekte zu

 

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