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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn in Kasseler Mundart

Un hä (he) sprach (sahte): En Mensch hatte zwey Sähne (Sehne); un der jinkste unneren sproch zum Vatter: gäb me Vatter, den Theil (Thell) der Giter der mä gehört. Un ha thelte enn das Gut. Un nit lange dernoch sammelte der jinkste Sohn alles zesammen, un zog wit ewwer Land, un do brachte hä sin Gut emme mit Prassen. Do hä nu all das Sinne verzehret hatte, do kam 'ne große Diering dourchs ganze Land; un hä sink (sunk) an ze darwen. [...] Do gink hä in sich un sproch: wie väle Tagelehner hot min Vatter, die Brod de Felle ham, un ich verderbe im (vor) Hunger. Ich well uoffpacken un zu minnem Vatter gehn, un zu äm sahn: Vatter, ich houn gesinnigt im Himmel un vor dä; un benn nu nit meh werth, daß ich din Sohn heiße; mach mich wie einen dmner Tagelehner. Un hä machte sich uff (packte uff) un kam zu sinem Vatter. [...] Awer der Vatter sproch zu sinnen Knechten; brenget das beste Kleid (Klidd) herrvor un thut en an, un gebt em en Renk an sinne Hand, un Schuh an sinne Fise. [...] Dann desser min Sohn war dot, un es wedder läwennig worn; hä war verloren, un es gesunnen worn. Un fingen (fungen) an frehlich ze sinn [...].

In seinen kurzen Kommentaren zu den Übersetzungen bietet Jacob Grimm noch zusätzliche interessante sprachliche Informationen. So weist er zum Beispiel darauf hin, daß "in den nächsten Dörfern" von Kassel sich sprachlich einiges von dem ändert, was er für die Stadt selbst in seinen Übertragungen festgehalten hat. Beispielsweise: unnenn in unger 'unter', well in wäll 'will', es in äs 'es', hunnert in hungert 'einhundert' und dorch in därch 'durch'.

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Anmerkungen

Peter Wiesinger: Phonetisch-phonologische Untersuchungen zur Vokalentwicklung in den deutschen Dialekten. Bd. 2: Die Diphthonge im Hochdeutschen. Berlin 1970 (Studia Linguistica Germanica 22),S. 335.

Hans Friebertshäuser und Heinrich J Dingeldein: Hessischer Dialektzensus. Statistischer Atlas zum Sprachgebrauch. Tübingen 1989 (Hessische Sprachatlanten, Kleine Reihe 3), S. 217. Heinrich J. Dingeldein: Rezension. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 54 (1987), S. 264.

Ebenda.

Wilhelm Schoof: Jacob Grimm und die Anfänge der deutschen Dialektgeographie. In: Zeitschrift für Mundartforschung 30 (1963/64), S. 98 f. (im folgenden: Schoof 1963/64).

Johann Gottlieb Radlof: Die Sprache der germanen m ihren sämmtlichen Mundarten dargestellt und erläutert durch die Gleichniss-Reden vom Saemanne und dem verlorenen Sohne, samt einer kurzen Geschichte des Namens der Teutschen. Frankfurt am Mayn 1817 (Im folgenden Radlof 1817).

 

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