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AUFSÄTZE

 

  

Helmut Sander

 

Verlust und Wiedergewinn der geistigen Mitte

 

Angesichts der documenta IX lohnt es sich, zwei Büchlein zum obigen Thema erneut aus dem Bücherregal zu nehmen und zu studieren: F. Adama van Scheltema, "Die geistige Mitte, Umrisse einer abendländischen Kulturmorphologie" (München 1950), und "Verlust der Mitte" von Hans Sedlmayr (1. Aufl. Salzburg 1948, 8. Aufl., Berlin 1963). Zum tieferen Verständnis moderner Kunstausstellungen möge Gustav René Hockes "Welt als Labyrinth" (Hamburg 1957 und viele spätere Auflagen) dienen. Aus Verständnis- und Jubiläumsgründen seien aber auch einige Passagen, Bilder und Zeichnungen aus dem Buch des Verfassers "Das Herkules-Bauwerk in Kassel-Wilhelmshöhe" (Berlin/Kassel 1981) und seine kurze "Hommage à Cassel - anno 1977" (Prix de Cassel-Dokumentation 2 der GhK) erwähnt. Kassels Herkules wird laut kupferner Urkunde auf seinem Kopf am 30.11.1992 genau 275 Jahre alt. Vor 25 Jahren, am 24.6.1967, hat man des 250. Jubiläums mit einem großen Volksfest gedacht.

 

Kassel hat 1811 unter dem leichtsinnigen Westfalenkönig Jérôme seine ursprünglich keimzellenartige Mitte, das Landgrafenschloß, durch Brand verloren. In Stadtrandlagen wurden schon im 18. Jahrhundert andere "Mittelpunkte" glanzvoll geschaffen, aber im Zweiten Weltkrieg leiderteilzerstört. Das Herkules-Bauwerk (1701 - 1717), Hauptsymbol und erhöhtes Zentrum des absolutistischen hessischen Kleinstaates des Landgrafen Karl, die ebenfalls barocke Orangerie sowie der Friedrichsplatz (ab 1768) mit dem Museum Fridericianum von Simon Louis du Ry und sein kreisrunder Königsplatz, eine sechsstrahlige "Place de l' Étoile", wurden restauriert und blieben erhalten. Im neuen Bonner Parlamentsgebäude hat man die Rundform wieder aufgegriffen und ihre Mitte betont. Vielleicht leidet die vorwiegend axial gegliederte Stadt Kassel am unveränderbar Exzentrischen, weil sie eine ungestillte Sehnsucht nach einer geistigen Mitte hat.

 

Der durch die Straßenbahngeleise zweigeteilte Königsplatz, eine Erinnerung an den landgräflichen Schwedenkönig Friedrich l. von Hessen, bot für seine Umgestaltung keine zentrale Grundfläche für einen (nicht zeitgemäßen) Obelisken wie z. B. der "Circus" (1808 - 1845), ein riesiger Rundplatz in dem Kleinstädtchen Puttbus auf der Insel Rügen. Der jetzt auf dem Königsplatz entstandene, das Zentrum meidende Holzbau versucht, mit

 

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