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einer schräg gesetzten, mathematisch-bautechnischen Spange die beiden Platzhälften zu klammern. Der sechsgeteilte Platz wird durch die erhöhte quadratische Plattform nüchtern betont. Dem exaltierten Wiener Künstler Friedensreich Hundertwasser stünden wohl die Haare zu Berge - aber wäre man mit einem manieristischen "Kunstwerk" besser bedient? Hundertwasser glaubt, daß gerade Linien den Menschen krank machen, und sieht in solchen Linien eine Bedrohung wie durch Umweltgifte. Demnach mußten Kassels Einwohner wegen der Wilhelmshöher Allee krank an Leib und Seele sein. Immerhin dulden sie zum neunten Male eine gegenpolig-manieristische documenta. Vielleicht sind sie bereit, bis zur zehnten documenta geistig vorhandene Mitten zu akzeptieren. Mit der "heiligen Tetraktys" haben schon Griechen die Fingerzahl Zehn verehrt.

 

Vorsorglich sollte man nicht alles Heilige, und dazu gehören in klassisch-antikem Sinne auch Zahl und Urbildgeometrie, in den Schmutz ziehen wie ein documenta-Künstler 1992 mit einem blasphemisch kotig ornamentierten Fliesenmuster in der schönen neuen Kunsthalle am Rande des Friedrichsplatzes. Es mag sein, daß er seelenkrank ist. Sein Grundmuster bietet griechische Lebenskreuze von Ewigkeitswert. Ein Raum im Museum Fridericianum zeigt solche Muster aus Bleiblech in vielen reizvollen, imponierenden Abwandlungen: "NEL MOMENTO" des Italieners Remo Salvadori. Es sind späte Argumente für die berühmte italienische Renaissancezeit.

 

Man schimpft auf die Kälte des Mathematisch-technischen, hat aber dessen geistige Möglichkeiten bei weitem nicht erfaßt, welche altbewährt zu gemeinsamen Mitten und notwendigen, natürlichen Symmetrien führen. Der Kalifornier Walter de Maria (56), Initiator des Kasseler "Erdkilometers" der 6 documenta 1977, Naturphilosoph und sachlich bleibender Romantiker, will mit seinen bemerkenswerten Werken "die Betrachter anregen, über die Erde und ihren Ort im Universum nachzudenken." In Kassel lieferte er dazu seinen festen Punkt. Nicht weit entfernt von dem letzteren steht der große quadratische Stahlrahmen, der mit dem Durchblick ins Bergland eigentlich nur den Lehrsatz des Pythagoras symbolisiert: Gedachte Bildfläche a 2 plus filigrane Stahlrahmenflache b 2 gleich Gesamtflache c 2 . Als Längen bilden die Wurzeln a, b und c ein rechtwinkliges Dreieck. Die alten Griechen feixen auf dem Olymp. Sie feixen vermutlich auch über das Vorhallendach des neuen Wilhelmshöher Fernbahnhofs mit seinem Leicaformat-Grundriß 2:3, der musikalischen Quinte zum Grundton 1:1 des Quadrates, die schon Pythagoras (um 572 - 493 v. Chr.) musikalisch deutete. "Sein" Dreieck 3:4:5 steckt als geometrische Quartenhälfte drin.

 

Besinnen wir uns auf den im Grundriß klassisch-klaren Oktogontempel unseres Jubilars Herkules alias manieristisch-hellenistischen Herakles des Lysipp, Hofbildhauer Alexanders des Großen. Es ist und bleibt phänomenal, die Grundströmungen der Weltkunst auf nordhessischer Bergeshöhe vereint zu sehen. Das achtachsig symmetrische Oktogon ist ein Derivat des Quadrates und somit seit Thales dem Kreis und dessen festem Mittelpunkt wissenschaftlich unterworfen. Je vier gegenüberliegende Seiten und bestimmte Diagonalen bilden im Oktogon griechische Flächenkreuze, deren künstlerisch gestaltbare Vielfalt weit älter ist als das Christentum, diesem aber neben dem lateinischen Kruzifix besonders heilig geworden ist.

 

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