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Der "Schabbesbalken"

 

Zu Ende des vergangenen Jahrhunderts betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung etwa 10, der der katholischen etwa 8 % der Gesamtbevölkerung von nicht einmal 3000 Einwohnern Rotenburgs. Darum waren den christlichen Einwohnern die Erscheinungen des jüdischen Lebens durchaus geläufig. Der "Talmud", eine umfangreiche Sammlung von religionsgesetzlichen Lebensregeln, bestimmte die jüdische Tradition und engte das jüdische Leben durch viele Verbote ein.

Viele Talmud-Regeln betrafen die Einhaltung des Sabbats, des Ruhetages. Es war der siebente Wochentag, der von den Juden als "ewiges Bundeszeichen" (2. Mose 31, 13-17) zur Erinnerung an die "Schöpfung der Welt durch Gott" (2. Mose 20,11) und an die Erlösung aus Ägypten (5. Mose 5, 15) durch Unterlassung der Arbeit und zur Wiederherstellung der leiblichen und geistigen Kräfte vom Freitag- bis Samstagabend gefeiert wurde. Allen, Herren, Knechten, ja sogar dem Vieh war jede Arbeit in dieser Zeit untersagt. Es war zum Beispiel verboten, im Ofen das Feuer zu entzünden, ja nicht einmal das Öffnen eines Briefes war einem Juden gestattet. Darum hatten oft mehrere Familien gemeinsam einen "Schabbesgoje" oder eine nichtjüdische "Schabbesmagd", die den Juden die Arbeit abnahmen. In Schulklassen des Gymnasiums, die auch von jüdischen Kindern besucht wurden, durften samstags keine Klassenarbeiten geschrieben werden, Schreib- und Zeichenunterricht standen nicht auf dem samstäglichen Stunden-plan1.

Selbst Spaziergängen waren am Samstag enge Grenzen gesetzt. Eine Wegstrecke von 2000 Ellen, etwa 1200 Meter, durfte von einem Juden am Sabbattage außerhalb des Wohnortes zurückgelegt werden. Diese Wegstrecke konnte einmal um 2000 Ellen erweitert werden, wenn am Freitag an dieser "Grenze" ein Brot oder 2 Mahlzeiten niedergelegt waren, wodurch ein juristisches Domizil, eine symbolische Wohnung, erworben wurde2.

In Orten, die von jüdischen Gemeinschaften bewohnt wurden, konnte durch eine "Sabbatschnur", die von Haus zu Haus oder von Straße zu Straße gespannt wurde, die "Grenze" des Wohnortes markiert werden.

 

 

 

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