Heimerziehung und Heimreform 1953-1975 – Über ein Archivierungs- und Forschungsvorhaben des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen

In den letzten Jahren ist immer wieder in Medien Klage geführt worden über Praxis und Zustände in Kinder- und Jugendheimen im Deutschland der 50er und 60er Jahre. Ehemalige Heimkinder berichten von Drangsal, verpassten Lebenschancen und Gewalt in Heimen dieser Zeit. Vorwürfe gegen Kinder- und Jugendheime in öffentlicher oder kirchlicher Trägerschaft bzw. der Landschaftsverbände wie des Landeswohlfahrtsverbands Hessen richten sich auf seinerzeit dort herrschende Erziehungsformen, die Personalausstattung und das Verhalten von Personal gegen Heimkinder. Dies wurde von Buchautoren aufgegriffen, die Einzelschicksale aus der öffentlichen Erziehung als beispielhafte, zeittypische Erscheinung beschrieben. Einige machten Kontinuitäten in der Gesetzeslage zur Heimerziehung und traditionelle Anschauungen über Erziehung seit dem späten 19. Jahrhundert für diese Verhältnisse verantwortlich.
Seit den zwanziger Jahren sichert das Jugendwohlfahrtsgesetz den Minderjährigen ein Recht auf Erziehung zu. Fehlen die Voraussetzungen oder wird das behütete Aufwachsen und die schulische und erzieherische Betreuung der Kinder und Jugendliche nicht gewährleistet, sollen die Jugendämter und ggf. Heimträger Aufgaben der Eltern zeitweise übernehmen. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen ist seit seiner Gründung 1953 in der Tradition seiner Vorgänger, der Bezirkskommunalverbände, auch für die Erziehungshilfe in Hessen zuständig. Damit ist der Verband direkt mit dem kontrovers diskutierten Thema Heimerziehung konfrontiert. Er hat sich als einer der ersten Erziehungshilfeträger schon 2006 mit einer Tagung in Idstein unter Beteiligung von Vertretern ehemaliger Heimkinder und mit wissenschaftlicher Begleitung dieser Verantwortung gestellt. Seit September 2009 werden die Akten des zuständigen Dezernats Erziehungshilfe des LWV Hessen inventarisiert und so für die Forschung erschlossen. Zudem wurde für den LWV Hessen prinzipiell vorgegeben, sämtliches Aktenmaterial zu dem Thema im verbandseigenen Archiv aufzubewahren. Für 2011 und 2012 sind weitere Arbeiten zu diesem Fragekomplex vorgesehen. Geplant ist eine Wanderausstellung zum Thema Heimerziehung und zu den Verhältnissen in den Einrichtungen des LWV Hessen, die an verschiedenen Orten des Bundeslandes – in verbandseigenen Einrichtungen, an Schulen, Universitäten, im Landtag – gezeigt werden soll.
Nach dem Krieg versuchten die Gesetzgeber im Bund und in den Ländern, an die aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Lage gescheiterten Ansätze einer modernen Heimerziehung während der Weimarer Republik anzuknüpfen. Dem LWV Hessen hatte nach seiner Gründung 1953 eine zweifache Verantwortung. Er leitete eigene Heime für Minderjährige in öffentlicher Erziehung wie den Karlshof bei Wabern und das Mädchenjugendheim in Fuldatal-Guxhagen und seit 1962, als reformorientierte Einrichtung, den Staffelberg bei Biedenkopf. Daneben war ihm durch die Landesgesetzgebung überhaupt die Durchführung und Aufsicht über die Heimerziehung in Hessen aufgegeben, die er mit dem Landesjugendamt und den örtlichen Jugendämtern zu versehen hatte. Erklärtes Ziel dieser Erziehung im demokratischen Staat und nicht zuletzt nach den Erfahrungen der NS-Diktatur

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