sollte es sein, den einem Heim anvertrauten Minderjährigen zu einem „freien, sich seiner Verantwortung und seiner Würde bewußten Menschen“ zu bilden. Eine ausreichende Zahl von „pädagogisch vorgebildeten oder begabten Fachkräften“ einschließlich einer angemessenen Schul- und beruflichen Ausbildung sollten ihn auf das Leben vorbereiten. Körperliche Züchtigungen, Arrest, Zensur u. a. waren untersagt. In einer ganzen Reihe von Vorgaben und Richtlinien nahm der LWV Hessen diese Aufgabe wahr und suchte, die erzieherische Arbeit des Heimpersonals zu regeln und nach modernen Ansätzen zu gestalten. Die Dezernatsleitung in Kassel orientierte sich dabei an aktuellen Ansätzen und Gedanken zur Pädagogik und verfolgte die Diskussion in Fachgremien der nationalen und internationalen Fachgesellschaften und -vereine.
Der Beschluss zur Einweisung in das Heim war durch ein vormundschaftsgerichtliches Urteil nach Antrag der Eltern und unter Beteiligung des örtlichen Jugendamts zulässig. Als Gründe für die Überweisung in ein Heim wurden nach Aussage der Akten immer wieder Erziehungsschwierigkeiten der Eltern mit ihren Kindern angegeben: „sexuelle Verwahrlosung“ bei Mädchen bzw. „Aufsässigkeit“ und Probleme in Schule und Ausbildung bei Jungen. Eine wesentliche Frage richtet sich auf Umstände und Hintergründe der Überweisung eines Minderjährigen in ein Heim. Anhand von Aktenmaterial ist darauf zu schließen, dass der größte Teil dieser ‚Heimzöglinge‘ aus unteren oder gar randständigen Bevölkerungsteilen kamen. Eine schwierige soziale Lage bzw. eine oft für viele Familien und Kinder für die Zeit nach 1945 bemerkte Bindungslosigkeit wird hierfür z. T. verantwortlich gemacht. Die Jahre nach Kriegsende von 1945 und die Zeit um 1950 waren besonders für Familien und Kinder von sozialer Not und Mangel geprägt. Hunderttausende Kinder wuchsen ohne Väter bzw. als Vollwaisen auf, Familien waren lange Jahre durch Gefangenschaft der Väter unvollständig. Hinzu kamen etwa 2 Millionen minderjährige Vertriebene und Flüchtlinge, die die große Zahl von bindungslosen Kindern und Jugendlichen in der Generation der um 1930 Geborenen erhöhten. In den Jahren nach 1949 gelang der Bundesrepublik der demokratische Neuaufbau verbunden mit ihrem wirtschaftlichen Wiederaufstieg („Wirtschaftswunderzeit“). Ein Wandel in der Jugendkultur wird seit den späten 50er Jahren bei den um 1940 geborenen Jugendlichen erkannt: die Jugend rezipierte westliche, besonders amerikanische Vorbilder für ihren materiellen Lebensstil (Kleidung, Musik, Kino, Motorrad) und für Verhaltensweisen (Sprache, lässige Umgangsformen, Rauchen, Umgang mit Sexualität), was als Wunsch nach Individualität und Freiheit zu deuten ist. Die Haltung traf in der älteren und Elterngeneration auf Unverständnis und Ablehnung, es entstanden zwangsläufig Konflikte zwischen veränderten Ansprüchen und Lebenserwartungen bei Jugendlichen einerseits und überlieferten Vorstellungen von Familie und Einordnung andererseits. In der Wahrnehmung vieler Eltern, aber auch Vormundschaftsrichtern und Mitarbeitern in Erziehungsbehörden konnte dies als Auflehnung und neue Verhaltensformen als Verwahrlosung gedeutet werden.
Die großen Heime des LWV Hessen lagen meist abseits der Zentren auf dem Land, in der Überzeugung, die ins Heim gegebenen Minderjährigen sollten räumlich getrennt von ihrer bisherigen Umgebung und damit von den vermuteten schädlichen Einflüssen aufwachsen. Dies bedeutete aber oft eine Lage abseits der Bevölkerung und damit eine