Dokumentation zum Tag der Hessischen Landesgeschichte am 19. September 2009 in Kassel
175 Jahre 1834−2009 Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Kassel 1834 e.V
Festvortrag
Prof. Dr. Jens Flemming, Universität Kassel
Kurhessen im 19. Jahrhundert und der Verein für
hessische Geschichte und Landeskunde e.V.
Sehr geehrte Frau Minister, sehr geehrte Damen und Herren …
I.
Historiker haben sich angewöhnt, das 19. Jahrhundert ein ‚langes‘ Jahrhundert zu nennen. Am Anfang steht die große französische Revolution von 1789, am Ende der große Krieg von 1914/18, der zunächst den europäischen Kontinent, dann ab 1917 die Welt umspannt. Mit der Revolution in Frankreich beginnen Konstituierung und Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft, der Krieg ist so etwas wie deren Götterdämmerung, ist ein tiefer und irreversibler Einbruch in die Welt der Bürgerlichkeit, deren Habitus, deren Ideale und Lebenszuschnitt zusehends zermürbt werden. Die bürgerliche Gesellschaft verschwindet nicht, aber fortan hat sie ein anderes Gesicht, ist nicht mehr geprägt von älteren, in Aufklärung, Romantik und liberalem Konstitutionalismus wurzelnden Traditionen und Werthorizonten, sie wird nicht mehr bestimmt von denen, die über Besitz und Bildung verfügen, sie wird im Raum der Politik nicht mehr beherrscht vom Honoratiorentum, nicht mehr von denen, die sich Politik leisten können, sondern von denen, die von der Politik leben. Der Typus des ehrenamtlichen homo politicus wird abgelöst durch den des Funktionärs, der Generalist durch den professionalisierten Spezialisten. Das lange 19. Jahrhundert jedenfalls ist ein bürgerliches Jahrhundert: das Jahrhundert der entstehenden, aufsteigenden, sich verzweigenden und
|
|
|
|