Gestern vor 8 Tagen war ich in Witzenhausen … da wanderten wir nach dem Ludwigstein. Ich muss sagen, dass ich selten von einer Landschaft einen so überwältigenden Eindruck gehabt habe. Sie ist sagenhaft, einfach unbeschreiblich. Die Aussicht von der Burg, wohl das Schönste, was ich bis jetzt sah. Gewiss wird es seine Härten haben, das Leben in Einsamkeit und Weltabgeschiedenheit hoch auf einem Berge.“
15.1.1916 „Wenn Wilhelm im März zurückkommt, sollen die Arbeiten auf dem Ludwigstein in Angriff genommen werden. Vorerst nur zwei Zimmer zurecht gemacht mit Fenstern und Türen und dann wollen wir im Sommer schon oben wohnen. Wilhelm hatte eine Menge Schwierigkeiten zu überwinden, bis er die Erlaubnis bekam, auf eigene Kosten die Zimmer in Stand setzen zu dürfen. Nun machen wir mit dem Staat einen Vertrag, der dahin geht, dass das Geld, was wir hinein­stecken, uns als Miete angerechnet wird – also wir solange keine Miete zahlen, bis der Betrag der Reparaturkosten abgedeckt ist.“
Aber es sollte ganz anders kommen. Denn kurz nach der Hochzeit in Kassel steht das junge Paar vor dem Umzug nach Hofgeismar und Lisa notiert:
21.5.1916 „… dass wir auf dem Lande wohnen, wenn auch leider nicht auf unserer stolzen Burg, aber doch im eigenen Haus … Ach, unser schöner Ludwigstein. Ich werde wohl ewig eine Sehnsucht nach ihm in mir tragen, wenn es uns nicht in späteren Jahren einmal gelingt, die nötigen 2000 evtl. 4000 Mark aufzubringen, die seine Instandsetzung kosten soll. Mir graut vor der Kleinstadt. Ich möchte ganz in der Landschaft wohnen, ganz von ihr umgeben sein.“
Die Ehe hielt jedoch nur wenige Jahre, Lisa und Wilhelm trennten sich. Angeregt durch die Lektüre von Rilkes „Buch der Bilder“ wandte sich Lisa noch von Hofgeismar aus Rat und Hilfe suchend an den berühmten Dichter. Wider Erwarten entwickelte sich daraus ein über mehrere Jahre andauernder Briefwechsel. Durch die Veröffentlichung der Briefe Rilkes unter dem Titel „Briefe an eine junge Frau“ im Insel-Verlag Leipzig ging die Empfängerin in die Literaturgeschichte ein. Mit dem Erscheinen ihrer eigenen „Briefe an Rainer Maria Rilke“ konnte sie einen beachtlichen literarischen Erfolg erzielen, das Leserinteresse war groß und der Band erreichte mehrere Auflagen. Später gab sie eine längere Erzählung mit dem Titel „Der Brunnen“ heraus. In ihrem Nachlass wurden weitere bisher unveröffentlichte, autobiographisch geprägte Texte gefunden sowie das oben erwähnte Tagebuch, aus dem hier dankenswerterweise zitiert werden konnte.
Wenn es tatsächlich zur Verwirklichung der gehegten Pläne gekommen wäre, wie wäre wohl dann die Geschichte der Burg verlaufen?
York-Egbert König, Eschwege

 

Quellen und Literatur:
Lisa Heise: Tagebuch 1915/16 (unveröffentlichtes Manuskript)
Lisa Heise: Briefe an Rainer Maria Rilke, Berlin 1934
Lisa Heise: Der Brunnen, Leipzig 1952
Hinrich Jantzen: Geschichte des Ludwigsteins 1415–1960, Burg Ludwigstein 1960
York-Egbert König: Durch Briefwechsel mit Rilke unvergessen. Lisa Heise verbrachte ihre Jugend in Eschwege, in: Eschweger Geschichtsblätter 21/2010, S. 82–87
Karl Kollmann: Burg Ludwigstein, Regensburg 2006³
Rainer Maria Rilke: Briefe an eine junge Frau, Leipzig 1930 ff.

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