Bauten. Parteipolitisch bestimmend waren
seit Beginn der parlamentarischen Demokratie
1919 die konservativ-klerikalen Bevölkerungsteile,
insbesondere die katholische Zentrumspartei,
welche die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung
stellte. Die demokratisch
verfasste Gemeindeselbstverwaltung fand auch
in Fritzlar durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten
nach nur 14-jähriger Existenz
ihr vorläufiges Ende. Der demokratisch gewählte
Bürgermeister wurde durch einen NS- Parteigänger
ersetzt und die städtischen Gremien
„nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet“. Die
Stabilität des politischen Katholizismus in Bezug
auf sein soziales Umfeld und sein Wahlverhalten
war einer der Gründe dafür, dass sich der
Nationalsozialismus in Fritzlar schwerer durchsetzen
konnte als im protestantischen Umland.
In Fritzlar gab es keine Form aktiven, aber vielfältige
Formen passiven Widerstandes, die von
verbotenen und trotzdem unternommenen Hilfeleistungen
für jüdische Familien bis hin zur
sogenannten inneren Emigration reichten. Auf
der anderen Seite nahm auch hier die Judenfeindschaft
zu. Am 1. April 1933 boykottierte
die SA die Geschäfte der jüdischen Bürger. Für
diese begann nun auch in dieser Stadt der lange
Weg von der Drangsalierung über die Ausgrenzung
bis hin zur physischen Vernichtung
in den Konzentrationslagern. 1942 wurde der
letzte jüdische Bewohner deportiert, nachdem
das bauliche Symbol ihrer bisherigen Existenz,
die jüdische Synagoge, bereits wenige Monate
nach der Pogromnacht von 1938 abgebrochen
worden war.
Mit dem Einmarsch der Amerikaner Ostern
1945 endete die nationalsozialistische Gewaltherrschaft.
Zunächst unter amerikanischem
Kommando, später in eigener Verantwortung,
begab man sich an den Wiederaufbau und die
Bewältigung der sozialen und menschlichen
Folgen des Zweiten Weltkrieges. Es herrschte
eine gewaltige Wohnungsnot. Nachdem
sich die Stadt im ausgehenden 19. Jahrhundert
nur sehr zögerlich über ihren mittelalterlichen
Stadtkern erweitert hatte, beschleunigte
sich dieser Prozess nach dem Ersten Weltkrieg.
Die Wohnraumknappheit in der zweiten Hälfte
der 1940er Jahre sprengte jedoch alle Dimensionen.
Es galt, die Erschließung großer neuer
Wohngebiete voranzubringen, um insbesondere
den vielen Heimatvertriebenen eine neue
Heimat zu geben und ihre Integration zu erleichtern.
In den folgenden Jahren wurden
vielfältige Bemühungen zur Fortentwicklung
der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Struktur der Stadt unternommen, zum Beispiel
durch die Ansiedlung von Betrieben der Ernährungswirtschaft
und der Bekleidungsindustrie
zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Eines der
bedeutenden historisch-politischen Ereignisse
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
war für die Stadt Fritzlar die von 1970 bis 1974
durchgeführte hessische Gebietsreform. Der
Stadt wurden zehn bisher selbständige Dörfer
als Ortsteile inkorporiert. Damit wuchs die
Bevölkerungszahl auf über 14.000 Einwohner
an. Dem Wohle dieser Einwohner dienen
heute zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen,
Wohnsiedlungen, Schulen, Freizeit- und Sportanlagen.
Handel, Gewerbe und Industriebetriebe
bieten gute Arbeitsmöglichkeiten. 40 Prozent
aller Beschäftigten sind im privaten und
öffentlichen Dienstleistungssektor tätig.
Eine fast 1300-jährige Geschichte hat das
Stadtbild, die Wirtschaft und die Bevölkerung
von Fritzlar geprägt. Durch Höhen und Tiefen
gewachsen, ist Fritzlar eine hessische Stadt,
die ein Beispiel für ein ständiges Streben nach
Aufbau und Fortschritt gibt.
Clemens Lohmann, M. A.,
Historiker und Stadtarchivar
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