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LXXXVI

In der Märzsitzung hielt Herr Pfarrer Kolbe einen Vortrag über deutsche Alterthümer in hessischen Gerichts-, Landwirthschafts- und Hochzeitsgebräuchen, welcher nicht nur viele bis da nicht beachtete Gebräuche vorführte, sondern auch über alle den nöthigen, theilweise ganz neuen Aufschluss gab. Bei der Fülle des Details müssen wir uns hier nur auf eine kurze Skizze desselben beschränken. Zunächst kamen die aus heidnischer Vorzeit herrührenden Gerichtsgebräuche in Betracht. Hier wurde nachgewiesen, dass bei uns in Hessen ehemals alle Gerichts- und Ding-Verhandlungen nur an den den Göttern geheiligten Tagen und Orten sowie zu den diesen geweihten Zeiten gehalten wurden. Der benachbarten uralten Grafschafts- und Centgerichtsstätte bei Oberweimar, Ratchloh und Reidsberg wird hierbei ausführlich gedacht und an den dortigen lokalen Flurnamen der ehemalige höchst interessante Gerichtsgang erörtert. Unter den sehr charakteristischen Strafen der alten Zeit hob der Vortragende u. a. das Aufhängen der Delinquenten zwischen zwei Wölfen oder Hunden hervor und wies an geschichtlichen Beispielen dieser im späteren Mittelalter nur an Juden geübten Todesstrafe den heidnisch mythologischen Hintergrund nach, aus dem dieser Gerichtsgebrauch hervorgegangen. Desgleichen geschah mit der Strafe des Hundetragens, von der ein Beispiel an den Vasallen und Fehdegenossen des oberlahngauischen Grafen Eberhard, des Bruders des verstorbenen Kaisers Konrad I., aus dem Jahr 937 nachgewiesen wurde. Hieran schloss sich eine ausführliche Erörterung verschiedener, aus heidnischer Anschauung hervorgegangenen Rechtssymbole. Der gerichtliche Gebrauch der Handschuhe ward an einzelnen geschichtlichen Beispielen aus dem hessischen Staats-, Criminal- und Lehnrecht veranschaulicht. In dem zweiten Theil des Vortrages verbreitete sich der Vortragende über höchst eigenthümliche, in das tiefste Alterthum zurück datirende Sitten und Gebräuche unseres Landvolkes bei der Viehzucht, der Ackerbestellung und der Ernte. So wird u. a. auch der eigentliche Sinn und die Bedeutung des Kirmessbegräbnisses ausführlich und klar dargelegt und mit dem Adonis- und Osiriscultus in Zusammenhang gebracht. Von besonderer

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