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Im Gegensatz zu diesen beiden durch edle Einfachheit ausgezeichneten Werken zeigen die der Zeit nach zunächstliegenden Grabmäler eines fürstlichen Ehepaares und eines einzelnen Ritters die reiche Ausstattung des entwickelten gothischen Stils, der die Formen seiner Baukunst überall, wo es nur anging, als Schmuck verwendete. Die Tracht und die künstlerischen Eigenthümlichkeiten dieser beiden Grabmäler, welche gewöhnlich als diejenigen von Otto dem Schützen († 1366) nebst Gemahlin und von Landgraf Heinrich dem Eisernen († 1376) gelten, beweisen ganz unzweifelhaft, dass dieselben im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts entstanden sind, mithin unmöglich den erwähnten Personen angehören können. Wenn es wahr ist, dass auf dem einen Grabstein vor einiger Zeit noch die mit Farbe aufgeschriebenen Worte Henricus landgravius erkennbar waren, so kann derselbe nur derjenige des ersten Landgrafen dieses Namens sein, der im Jahre 1308 starb; wir würden also in dieser edlen ritterlichen Gestalt den Stammvater des hessischen Fürstenhauses erkennen, Heinrich das Kind von Hessen. Das andere Grabmal könnte seinem Sohn und Nachfolger Otto, der 1328 starb, angehören. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts begann die Bildhauerkunst mit dem Ueberwuchern des Schmuckwerkes in demselben Maasse an künstlerischem Gehalt abzunehmen, wie sie an handwerklicher Geschicklichkeit zunahm. An den zahlreichen Grabsteinen des 15. Jahrhunderts lässt sich bei aller Kunstfertigkeit in der Ausführung und der Mannigfaltigkeit der Zierbildnngen doch schon ein starker Rückschritt in der Bildung der Figuren bemerken. Eine gewisse Entschädigung gewährt der beginnende Realismus, der Vorbote der Renaissance, der die Züge der Verstorbenen mit bildnissmäsisiger Treue bildet, anstatt, denselben, wie die ältere Kunst es vorzog, eine ideale Jugendlichkeit zu verleihen. Das allerjüngste der Hochgräber erfordert eine besondere Erwähnung. Es ist dasjenige des Landgrafen Wilhelm II., der 1509 starb. In dieser Zeit ist an die Stelle des felsenfesten freudigen Glaubens, der im Tode nur den üebergang zum besseren Leben sah, ein Gefühl des Zweifels und der Gewissensnoth getreten, das sich auch in der Kunst wiederspiegelt;

 

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