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Erzählung begnügt, sondern sich auch um den inneren Zusammenhang der Ereignisse bemüht, seine Urtheile in die Erzählung verwebt, an vielen Stellen feuilletonistisch, leitartikelnd vorträgt. In anderer Beziehung z. B. wo das Wunder mitspielt, erscheint uns Lambert wieder ganz als Kind seiner mittelalterlichen Zeit.

Lambert’s Annalen hatten früher unbedingte Geltung, auch in der neueren Geschichtswissenschaft. Seit den ersten Kritiken seiner Angaben durch L. v. Ranke und Flotho im Jahre 1855 ist Lambert’s Ansehen wesentlich erschüttert. Es sind seitdem über Lambert mehr als 50 Arbeiten erschienen, und doch ist man über den Charakter seines Werkes noch immer nicht zur Klarheit gekommen ; ja das Durcheinander der heutigen Meinungen über Lambert’s Annalen erinnert an die Begriffsverwirrung der unruhigen Zeiten, denen die Arbeit des Hersfelder Mönches gewidmet war.

Der Redner hob nun aus der Lambert-Literatur die wichtigsten Meinungen heraus und betonte, dass nach seiner Ansicht die Autorität des Lambert von Hersfeld in dem früheren Umfange nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Objectiv müsse Lambert von Hersfeld in einer ganzen Reihe von Einzelfällen unstreitig verworfen werden. Es frage sich aber, ob man dem Lambert von Hersfeld auch absichtliche Geschichtsfälschung nachsagen dürfe, ob Lambert im Interesse eines bestimmten politischen Zweckes geschrieben habe, oder, falls man diese Frage verneinen müsse, nach welchen Gesichtspunkten bei der Kritik des Lambert von Hersfeld zu verfahren sei.

In seinem zweiten Vortrage fasste der Redner die Hauptfrage dahin zusammen: „Hat Lambert von Hersfeld, wenn er falsch berichtet oder unzutreffend urtheilt, wissentlich die Geschichte zu fälschen beabsichtigt? Hat er ferner im Interesse eines bestimmten politischen Zweckes geschrieben, indem er nämlich die Wahl des Gegenkönigs rechtfertigen wollte und zwar in der Absicht rechtfertigen wollte, um die Abtei Hersfeld oder sogar um noch weitere Kreise des Reiches damit auf die Seite des Gegenkönigs zu ziehen?“

Lambert’s Werk, so führte der Redner aus, trägt deutlich den Stempel der streiterregten Jahre, in denen es entstanden ist. Der Verfasser hat gegen Heinrich IV. Partei ergriffen und hält dessen Untergang für selbstverständlich. Aber dem Werke Lambert’s fehlt einmal die Beziehung zur Sache der Gegenpartei, dann auch der einheitliche Charakter, der die publicistische Streitschrift kennzeichnet: es ist gehalten in der überlieferten Form annalistischer Reichsgeschichte ; ja selbst als Reichsgeschichte betrachtet lässt es gerade die Einheitlichkeit besonders vermissen. Das Werk des Hersfelder Mönches ist eine Sammlung von Einzeldarstellungen, deren jede durch ein besonderes Leitmotiv beherrscht ist. Die verschiedenen Aufsätze, aus denen sich das Werk zusammensetzt, widersprechen einander nicht selten ; auch finden sich viele Erzählungen, die mit der Person Heinrich’s IV. gar nichts zu thun haben, selbst solche, in denen Heinrich eine vortheilhafte Rolle zugewiesen ist. Die Arbeit Lambert’s ist, wie im einzelnen nachgewiesen wird, unter dem Eindrucke verschiedenartiger Stimmungen des Verfassers angefertigt. Vor dem Jahre 1069 ist die Abneigung

 

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