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jener trotz seines Geizes die Rechnungen der Handwerker ohne Abstrich alsbald bezahlen ließ, erlaubte sich jetzt nicht nur der Kurfürst selbst, sondern sogar seine Mätresse, die Gräfin Reichenbach, Abstriche daran und der gekürzte Betrag kam oft erst nach langer Zeit zur Auszahlung. Durch die Gräfin Reichenbach wurde ferner arger Zwist in die kurfürstliche Familie getragen, der auch auf die staatlichen Verhältnisse hemmend und störend einwirkte. Übergriffe mancherlei Art, deren sich der Kurfürst schuldig machte, Eingriffe in die Vermögensverwaltung der Städte Kassel und Hanau, die Sorgen für die Gräfin Reichenbach und ihre Nachkommenschaft, die den Kurfürsten zu großen Ausgaben verleitete, die, weil eine Trennung zwischen fürstlichem und Landesvermögen noch nicht eingetreten war, auch dem Lande zur Last fielen, wirkten in Verbindung mit dem durch die Zollpolitik Preußens in den Staaten Mitteldeutschlands eingetretenen allgemeinen Darniederliegen des Handels und der Industrie dahin, daß die Unzufriedenheit mit dem herrschenden System in Kurhessen gewaltig wuchs. Nachdem schließlich die Erkrankung des Kurfürsten in Karlsbad und die sich daran knüpfenden Vorgänge in Hessen, insbesondere in Kassel, große Beunruhigung hervorgerufen hatten, brachten die revolutionären Ereignisse in Frankreich, Belgien und einzelnen deutschen Staaten (Braunschweig. Sachsen) die unzufriedene Bevölkerung zu tätlichem Vorgehen.)

Da von oben herab nichts geschah, um den Zustand des gedrückten Volks zu verbessern, so erweckte die Vorsehung einen Mann aus dem Stand der Handwerker, der mit Feuereifer daran ging, der Retter seines Vaterlandes zu werden, den Küfermeister Herbold 1). Schon das Äußere dieses Mannes, seine kräftige Figur, starker Backenbart, große rollende Augen, im- [imponierte]

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1) Karl Herbold wurde am 7. Juli 1796 zu Kassel geboren und starb daselbst am 2. August 1866. Sein Auftreten im Jahre 1830, dessen Bedeutung im ganzen wohl überschätzt wurde, machte ihn, den ,.Bürgerkönig“, zum Liebling des Volkes, v. Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte im 19. Jahrh.“ nennt ihn „den hessischen Masaniello“. (Bd. 4, S. 128.)

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