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Aufbewahrungsräume im Schloß unentgeltlich überlassen, und 1884 auch der preußische Kultusminister und der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau die Sammlung besichtigt und hoch belobt hatten. Die Tatsache der Finanzierung durch den Hauptverein und durch die von ihm erfolgreich angesprochene öffentliche Hand barg jedoch einen Konfliktstoff, dessen Brisanz um die letzte Jahrhundertwende derart zunahm, daß er fast den Verein gesprengt, zumindestens die beiden Hauptzweigvereine Kassel und Marburg auseinandergerissen hätte.
Die Schilderung des Auf- und Ausbaus der Marburger Sammlungen ist ein abendfüllendes Thema für sich, zu dem ich hier nur soviel zu ihrer Charakterisierung sagen will, daß man schlechthin alles von kulturgeschichtlichem Belang erwarb, so daß im Rechnungsjahr 1903/04 über 500 verschiedene Gegenstände angekauft wurden, angefangen von romanischen Kruzifixen des 12. Jahrhunderts bis zu bäuerlichen Schuh-Schnallen des 19. Jahrhunderts. Schwerpunkte der Sammlung waren außer kultischen vor allem bäuerliche und bürgerliche häusliche Einrichtungsgegenstände, Handwerkszeuge und Arbeitsgeräte, Trachten, Mobiliar und Geschirr und speziell die von Bickell erstmals in ihrer künstlerischen Bedeutung erkannten gußeisernen Schmuckofenplatten, von denen der Verein 1907 240 Stück ohne die Doubletten besaß. Die Sammlung war also alles andere als eine Vereinigung von Zimelien, obwohl auch solche nicht fehlten, wie etwa die heute in Kassel befindlichen kostbaren Merxhäuser Altartafeln des 14. Jahrhunderts, sie war vielmehr von Anfang an eindeutig kulturgeschichtlich ausgerichtet. Ihre Hauptabsicht war, Gebrauchsgegenstände, wie sie im täglichen und festlichen Leben der Bürger und Bauern in Stadt und Dorf benötigt und verwendet wurden und damit deren Lebens- und Daseinsformen verdeutlichten, in einer sich immer stärker wandelnden Welt zusammenzutragen und als Lebensbild unserer Vorfahren zu bewahren. So wurde, wie der Vorstand des Marburger Zweigvereins 1886 erklärte, Pflege und Vermehrung dieser Sammlung zu seiner Hauptaufgabe.
Demgegenüber hatte sich der Kasseler Verein zunächst vor allem darauf konzentriert, eine Vereinsbibliothek aufzubauen, die durch Ankäufe und Schenkungen, insbesondere aber durch einen umfassenden deutschen und europäischen, ja selbst überseeischen Tauschverkehr mit Geschichts- und Kulturvereinen bald schon einen außerordentlichen Wert gewann. Die Sammlung von Altertümern trat dagegen zurück, man überließ sie weitgehend Marburg und beschränkte sich in Kassel bis Anfang der 90er Jahre auf eine sogen. prähistorische Sammlung, zu der auch Marburg beisteuerte, und eine hessische Münzsammlung. Das wurde anders, als 1892 Johannes Boehlau als Direktorial -Assistent am königlichen Museum zu Kassel dem Verein beitrat. Er wurde zur treibenden Kraft für den Aufbau einer Sammlung hessischer Altertümer auch in Kassel und steigerte seine dahin zielenden Bemühungen, als er Nachfolger Eisenmanns nicht nur als Museumsdirektor, sondern auch als Konservator der Kasseler Vorgeschichts- und Münzsammlung Vorstandsmitglied geworden war. Das war 1904 der Fall. Kassel meldete seine Ansprüche auf die Marburger Sammlungen an und setzte sie nach harten Auseinandersetzungen, die bis in die Öffentlichkeit getragen wurden, durch.
Der Marburger Verein hat sich, man darf sagen verzweifelt, gegen die Überführung, und als das verhindert war, gegen die Auseinanderreißung der Sammlung gewehrt. Aber die Rechtsverhältnisse und die äußeren Umstände sprachen gegen ihn. Rechtlich gehörten die Gegenstände dem gesamten Verein - vertreten durch den Hauptverein mit dem Sitz in Kassel, der sie weitgehend finanziert und ihren Konservator instruiert hatte - und museal war die Sammlung in Marburg trotz aller Bemühungen völlig unzureichend untergebracht. Dem Verein standen hier zunächst nur zwei, seit 1898 drei Kellerräume unter dem Leuthaus im Nordflügel des Schlosses für die Sammlungen zur Verfügung. Sie konnte dort also weder einigermaßen übersichtlich aufgestellt noch in den unbeheizbaren und z.T. feuchten Räumen genügend gepflegt werden, ja sie waren beim Tode Bickells noch nicht einmal hinreichend inventarisiert und beschildert. Dagegen wurde in Kassel vor dem ersten Weltkrieg ein eigenes Landesmuseum geplant, das zur Tausendjahrfeier der Stadt 1913 eingeweiht werden sollte. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Vereinssammlung in dessen Räumen weit wirkungsvoller, pfleglicher und allgemein zugänglicher aufgestellt werden konnte. Als daher der Bau des Kasseler Landesmuseums 1909 endgültig gesichert war, mußte sich der Marburger Zweigverein in die Abgabe des größeren Teiles seiner Bestände fügen, erreichte jedoch, daß Kassel auf alle Gegenstände aus Stadt und

 

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