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AUFSÄTZE

Friedrich Holzgrabe

Moses Büdinger (1784-1841), der erste Lehrer israelitischer Lehrer

in Hessen1)

Als zum Auftakt der Barbarei der sogenannten Kristallnacht in der israelitischen Schule in Kassel schon am 7. November 1938 die Fensterscheiben zertrümmert, die Räume verwüstet und die Möbel zerschlagen wurden, trafen die Steine symbolisch auch den Mann, der diese Schule - wenn auch nicht im gleichen Hause - 103 Jahre zuvor eingerichtet hatte, Moses Büdinger: Er war der "Oberlehrer" einer 1825 eröffneten "Schul- und Schullehrerbildungsanstalt", die die Voraussetzung für ein blühendes israelitisches Schulwesen in Kurhessen und dem späteren preußischen Regierungsbezirk Kassel schaffte, das zeitweilig mehr als 100 und um die Wende zum 20. Jahrhundert trotz der mit der preußischen Gewerbefreiheit und Freizügigkeit verbundenen Abwanderung der Juden vom Lande in die Städte noch 85 Schulen umfaßte.2)

Aufgeweckt durch Moses Mendelssohn, suchten die Juden ihre jahrhundertealte Isolation zu durchbrechen, indem sie den Glauben ihrer Väter mit deutscher Kultur und Bildung verbanden, um sich so den Weg in die bürgerliche Gesell schaft zu bahnen.

Diesem Verlangen hatte sich auch der Kurfürst von Hessen-Kassel, Wilhelm I., nicht verschließen können, die bürgerliche Gleichberechtigung aber an ein großes Umerziehungsprogramm gebunden, überzeugt davon, "daß die Israeliten sittlich verdorbener sind als andere Nationen, daß sie sich einer größeren Zahl von Vergehungen schuldig machen als die Christen, daß ihr Charakter mehr zu Wucher und Hintergehung im Handel gestimmt, ihr Religionsvorurteil trennender und ungeselliger ist", hatte eine Regierungskommission 1814 als Mittel und Wege, die Juden "zu besseren Menschen und nützlichen Bürgern zu bilden", neben der Gewährung sorgfältig dosierter bürgerlicher Rechte der Schule eine wichtige Funktion zugedacht. Von der Umerziehung der Alten, die "in der Gewohnheit, sich von Schacher und Wucher zu ernähren, ergraut sind", hatte sie sich wenig versprochen, sondern auf die Kinder gesetzt, "um dadurch wenigstens die kommenden Geschlechter einer noch milderen Behandlung und des Genusses der bürgerlichen Gesellschaft empfäng lich zu machen".3)

Die Konsequenzen aus diesem Gutachten hatte die "Verordnung die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen als Staatsbürger betreffend" gezogen, die in ihrem §4 bestimmte:

"Sämtliche jüdische Glaubensgenossen ohne Unterschied, sind verbunden, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen der Christen, mit Ausnahme der für den Reli gionsunterricht bestimmten Stunden, zu schicken.

Den Lehrern dieser Schulen wird es zur Pflicht gemacht, keine Äußerungen lieb- loser Gesinnung so wenig von der einen als von der anderen Seite zu dulden."4)

Die damit für die israelitischen Kinder obligatorische Schulpflicht war von den Juden mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden. Zwar nahmen sie jetzt teil an der allgemeinen Volksbildung, aber sie fürchteten auch den Verlust der Substanz ihres eigenen Glaubens.

Geblieben war ihnen nämlich die Erinnerung an die kurz genossene volle bürgerliche Freiheit in der Franzosenzeit, die ihnen auch das Recht, eigene Schulen zu gründen zugestanden hatte.5)

 

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