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Pinhas führt ihn ein in die "Gesellschaft der Humanität", einen 1802 vom ersten in Kassel zugelassenen Arzt, Dr. Liffmann, gegründeten Wohltätigkeitsverein, der, überkonfessionell gedacht und in der Gründungsphase auch von "ungenannten" Christen unterstützt, schließlich doch auf jüdische Mitglieder beschränkt ge blieben war.19) In dieser Gesellschaft, deren Hauptzweck "die Vorbereitung, Aus bildung und Beförderung armer Knaben zu einem tüchtigen Berufe (ist)",20) hält Büdinger Vorträge mit religiösen, pädagogischen und kulturellen Themen, die z.T. in der führenden israelitischen Zeitschrift "Sulamith" im Druck erscheinen. In dieser Zeit führt er schon eine rege Korrespondenz mit namhaften jüdischen Gelehrten; auch die Verbindung zu Justi wird sorgsam gepflegt. Aus der Bekannt schaft mit Pinhas entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, die beide zu einer gemeinsamen Aufgabe verbindet. Beiden schwebt vor, wieder eigene israelitische Schulen und ein dazu erforderliches Lehrerseminar in Kassel zu errichten. Sie sind davon überzeugt, daß Erziehung nur in einem religiösen Klima gedeihen kann, das die Grundhaltung des Lehrers, die Lehrbücher und den Geist des Unterrichts Gestimmt, und daß sich bei gleichen Zielen darin israelitische Schulen von christlichen unterscheiden.

Die Grundzüge eines israelitischen Schulwesens, die Pinhas 1832 in einem großen Memorandum veröffentlicht, fixieren nur die Pläne, die er jetzt mit Büdinger schmiedet: ein Netz von israelitischen Elementarschulen auf dem Lande, dazu .Mittelschulen in den Städten. Sie sollen die Erziehung, vor allem auch die religiöse "mehr planmäßig und öffentlich" gestalten und sie aus der Beliebigkeit von Privatlehrern herausholen. Dazu nötig ist aber ein Lehrerstand, "welcher aus Leuten von beruf und Bildung Desteht".21) Diese "zum israelitischen Schul- und Religionslehrer oder Predigeramt Bestimmten (müssen) in einem besondern Seminarium zu ihrem Beruf theils gebildet, theils zu den Vollendungsstudien zweckmäßig vorbereitet werden".22)

Wer wen am meisten für solche Pläne begeistert, ist schwer auszumachen; jedenfalls sieht Pinhas, der politische Akteur, Moses Büdinger als Leiter dieses Seminars vor. Die bloße Aussicht auf dieses Amt verführt Büdinger zu einem leichtfertigen Heiratsantrag, aber seine klügere Verlobte vertröstet ihn auf den Tag, wo er es wirklich antreten kann, und nimmt sein Argument, "auch in Dürftigkeit lasse sich glücklich leben", nicht an. Amalie behält recht: die Schulpläne bleiben in den Mühlen der Bürokratie stecken und werden von den Be hörden so dilatorisch Gehandelt, daß sie Büdinger veranlaßt, sich nach einer lukrativeren Stelle umzusehen. 1820 verläßt er Kassel und wird Erzieher im Hause des Stuttgarter Hofbankiers Kaulla.

Hier geht es ihm gut; er tritt in das Lesemuseum ein, spielt Schach - ein Überrest seiner alten Spielleidenschaft - und genießt den Zirkel geistig anregender Männer christlichen und mosaischen Glaubens, zu dem vor allem Ludwig Borne gehört, der auf ihn einen solchen Eindruck hinterläßt, daß er Amalie seitenlang über die Gespräche mit ihm berichtet.23) Da er nur einen Zögling zu betreuen hat, findet er Zeit und Muße zu vertiefenden Privatstudien. Die Ergebnisse finden ihren Niederschlag in zehn geistlichen Reden, die er unter dem Titel "Worte der Sittenlehre und des Glaubens" 1821 im Druck erscheinen läßt, vor allem aber in seiner "Kleinen Bibel", die er in erster Auflage 1823 und ein Jahr später, erweitert und verbessert, in zweiter Auflage veröffentlicht, "ein Buch, das für den Unterricht in der biblischen Geschichte bahnbrechend geworden ist".24) Währenddessen bohrt Pinhas in Kassel weiter. Die Zeichen stehen auf Erfolg. Im Sommer 1822 erteilt das Innenministerium der Regierung der Provinz Niederhessen den Auftrag, „den Entwurf eines "Reglements für den Cultus, Unterricht (und) das Armenwesen" 25) zu erarbeiten. Im Gegensatz zur niederhessischen Regierung in Marburg, die zu einer Stellungnahme aufgefordert wird und am Pflichtbesuch israelitischer Kinder in christlichen Schulen festhält, eröffnet der Kasseler Entwurf den Juden auch die Alternative eigenständiger israelitischer Schulen. Der Einfluß Pinhas` ist hier unverkennbar. Er greift auch direkt in die Verhandlungen ein, indem er am 25.3.1823 in einer Eingabe an die Regierung die Frage

 

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