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deutsche [gesamtdeutsche] Gemeinsamkeit vorzutäuschen ..." Martin Luther tritt als "Fürstenknecht" und "Bauernverräter" ganz gegenüber Thomas Müntzer zurück.

Auch 1975 steht Thomas Müntzer als revolutionäre Persönlichkeit im Mittelpunkt und vor Martin Luther, obwohl die theologische Dimension Martin Luthers als geschichtswirksam anerkannt wird. Den eigentlichen Durchbruch bringt aber erst das Jubiläum 1983: dem 1978 eingerichteten kirchlichen Luther-Komitee zur Vorbereitung des Jubiläums läßt die DDR 1980 ein staatliches unter dem Vorsitz Erich Honneckers folgen.

Honnecker feierte Martin Luther als "einen der größten Söhne des deutschen Volkes" (immer spricht er von dem deutschen Volk und der deutschen Geschichte als einer Einheit). Dies ist um so beachtlicher, als 1983 in der DDR auch der 100. Todestag von Karl Marx gefeiert wurde, der ganz in den Schatten der Luther-Gedenkveranstaltung geriet. Im Katalog der Lutherausstellung der Staatlichen Museen in Ber lin "Kunst der Reformationszeit", S.9: "In der marxistischen, historischen und kunsthistorischen Forschung, in der Pflege und Aneignung des kulturellen Erbes durch unsere sozialistische Gesellschaft sowie in der Herausarbeitung humanistischer und progressiver Traditionen unserer sozialistischen Kultur und Kunst beansprucht die Epoche seit langem eine zentrale Stellung. Es hat sich eine langjährige Kontinuität in der historisch-materialistischen Aufarbeitung des geschichtlichen Quellenmaterials herausgebildet, auf deren Ereignissen auch unsere Ausstellung beruht." S.10: "Die reformatorische Theologie wurde zum entscheiden den revolutionären Anstoß ..."

Die beiden Zitate belegen, daß das neue historische Bewußtsein der DDR das Ergeb nis langjähriger wissenschaftlicher Forschung und Diskussion ist und seit 1979 amtlich die deutsche Geschichte als dialektische Einheit auffaßt (allerdings nur bis 1917! Vor dieser Zeitmarke ist bei allen wissenschaftlichen Veröffentlichun gen eine früher für unmöglich gehaltene zunehmende Unbefangenheit gegenüber dem historischen Gegenstand zu beobachten). Maßgeblich bestimmt haben diesen Prozeß die Geschichtsprofessoren Steinmetz (Universität Leipzig) und Laube (Akademie der Wissenschaften und Humboldt-Universität Berlin).

Als Ergebnis der Entwicklung muß festgestellt werden: Die DDR bekennt sich jetzt zur Gesamtheit des historischen Erbes und fühlt sich verpflichtet, dieses zu erhalten und zu pflegen (anders als 1950, als man das "Erbe" der überwundenen herrschenden Klasse ausschlug und deren Schlösser, trotz hohen künstlerischen und materiellen Wertes, sprengte!). Von der Gesamtheit des "Erbes" wird die humanistisch progressive "Tradition" aus den jeweiligen Ereignissen durch Wissenschaft und Propaganda herausgearbeitet und formt das Bewußtsein von Partei und Staat als der wissenschaftlich begründeten Erfüllung der deutschen Geschichte.

Zum anderen werden Theologie, Religion und Kirche in ihrer Rolle für die fort schrittliche Entwicklung anerkannt. Diese Wertschätzung, wie sie vor allem in der staatlichen Lutherwürdigung deutlich wurde, hat ganz neue Rückwirkungen auf die Stellung der Kirchen in der DDR heute. Man hat sich darauf eingerichtet, noch auf längere Zeit mit Kirche und religiösen Bedürfnissen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft leben zu müssen. Klassisch marxistisch wäre, religiöses Bewußtsein als illusorische Form anzusehen, in der materielle Klasseninteressen sich Ausdruck verschaffen. Indem die SED-Thesen zum Luther-Gedenkjahr die Vorrangstellung der Kirche und Religion in den spätmittelalterlichen Gesellschaften anerkennen, gestehen sie der Kirchengeschichte die zentralen Aussagen zur Reformationsgeschichte, die nun wieder mehr ist als nur "Frühbürgerliche Revolution", zu. So kann die Aufgabe der großen Lutherausstellung 1983 in Berlin (Katalog S. 9) lauten, das Erbe der Reformationszeit "vorzustellen und damit einen Beitrag zur weiteren Herausbildung und Festigung des sozialistischen Geschichts- und Nationalbewußtseins zu leisten".

 

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