..

-7-

 

Juden in den Status von Schutzjuden zurück; Konsistorium und Schule werden aufgelöst. Aber der Kurfürst kann das Rad der Geschichte weder zurückdrehen noch anhalten. Die kurz genossene Freiheit hat das Selbstbewußtsein der Juden gestärkt, ihre wirtschaftliche Bedeutung ist gewachsen und ihre patriotische Gesinnung haben sie in den Freiheitskriegen unter Beweis gestellt. Dazu wirkt sich für sie positiv aus, daß auf staatlicher Seite die Beamten, auf die der Kurfürst bei der Reorganisation des Staates angewiesen ist, sich erstaunlich schnell an die rationell durchorganisierte französische Bürokratie gewöhnt, sie als eigene Machtposition erkannt und sich mit vielen politischen Maßnahmen identifiziert haben."13)

Die Judenfrage wird wieder aktuell, als der Kurfürst mit einer neuen Zunftordnung die von den Franzosen eingeführte Gewerbefreiheit beseitigen will, von der gerade die Juden besonders profitiert hatten, weil sie ihnen die volle Gleichberechtigung in Handel, Handwerk und Gewerbe gebracht hatte.14) Eine Restauration der alten Wirtschaftsordnung war notgedrungen mit einer neuen Statusbestimmung der Juden verbunden. Es ist sicher kein Zufall, daß diese ausgelöst wird durch eine Eingabe von Kaufleuten, in der sie sich beim Kurfürsten darüber beklagen, "wie sehr (ihre) Nahrung darunter leidet, daß von Juden und anderen mit nichts angefangenen Personen, die sich während der feindlichen Occupation dahier eingeschlichen haben," noch beständig der früher verbotene Handel mit Krämerwaren betrieben wird, der sich auch allgemeinschädlich auswirkt, weil "Die Juden, deren unmäßige Gewinnsucht und geschäftiger Eigennutz dem gemeinen Wesen von jeher verderblich gewesen sind, sich kein Gewissen daraus zu machen pflegen, verbotenen Schleichhandel zu treiben."

Sie bitten den Kurfürsten, ihre alten Privilegien wieder herzustellen und erinnern ihn an sein Versprechen anläßlich seiner "glücklichen Rückkehr", daß "alles Fremdartige, welches (den Bewohnern Hessens) während einer schmachvollen Zeit aufgedrungen worden, vertilgt werden solle."15) Als der Geheime Rat am 28. Juni 1814 erklärt, daß "Serenissimus Elector nicht abgeneigt sind, den Juden bürgerliche Rechte zu erteilen," beauftragt er die Regierung unter Hinweis auf eben diese Petition, den "Gegenstand in genaue Überlegung zu ziehen, alle dabei in Betracht kommenden Gründe dafür und dawider zu prüfen und sich über die Sache selbst und die dabei zu machenden Modifikationen gutachtlich zu äußern, zugleich auch das Projekt zu einem demnächst zu erlassenden Regulativ einzureichen."16) Unter Hinzuziehung der Oberrentkammer macht sich die Regierung an die Arbeit.17)

Ausgehend von der Frage "Wie können die Juden bessere Menschen und nützliche Mitglieder des Staates werden?" kommt die Kommission zu dem Ergebnis, daß sie gegenwärtig unbestreitbar "sittlich verdorbener sind als andere Nationen, daß sie sich einer größeren Zahl von Vergehungen schuldig machen als die Christen, daß ihr Charakter mehr zu Wucher und Hintergehung im Handel gestimmt, ihr Religionsvorurteil trennender und ungeselliger ist." Aber bei der Ursachenanalyse argumentieren die christlichen Beamten jetzt genau so, wie fünf Jahre vorher der Jude Jacobson: "Dies alles ist eine notwendige Folge der drückenden Verfassung, in welcher diese unglücklichen Menschen leben. Muß der Verachtete nicht verächtlich, der Unterdrückte nicht ungerecht werden? Enthält die Ehre nicht den Keim zu allem Guten? Kann der ein guter Mensch und ein guter Bürger sein, welchen der Staat nur insofern duldet, als er Abgaben gibt, der sein bloßes Dasein erkaufen muß, dem auf der einen Seite Geld alles und dem alles übrige nichts ist, und der zugleich auf der anderen Seite meist nur durch Vergehungen zu dem gelangen kann, was er zur Stillung des Hungers für sich, für Weib und Kind bedarf? Jede andere Menschengattung, in dieselben Umstände versetzt, würde sicher dieselben Vorwürfe auf sich laden." Daraus zieht die Kommission die Konsequenz, daß, wenn nun die staatlichen Gesetze den Juden "diesen Geist einhauchten," indem sie ihre Gewerbe einschränkten, sie von Zünften ausschlössen, ihnen den Ackerbau verboten und sie zwangen, "allein vom Handel, welcher mehr als irgendeine Beschäftigung zu Betrug und Hintergehung anreizt,

 

..