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sich zu ernähren," der Staat jetzt verpflichtet ist, " den Unterdrückten nicht weiter die Folgen der Unterdrückung zur Last zu legen," sondern Mittel und Wege zu finden, "sie zu besseren Menschen und nützlichen Bürgern zu bilden."

Während die Minderheit der Kommission nur "einzelnen Wohlverdienten" die Bürgerrechte zuerkennen will, vertritt die Mehrheit die Auffassung, sie prinzipiell allen Israeliten zu verleihen, allerdings mit dem Vorbehalt, daß sie "der Stufe der wissenschaftlichen Bildung wegen, auf der die Juden gegenwärtig stehen", nur sukzessiv realisiert werden könnten. Denn von denen, "welche nun einmal in der Gewohnheit vom Schacher und Wucher sich zu ernähren ergraut und einer gänzlichen Umwandlung ihrer bisherigen Erwerbsweise nicht mehr fähig sind," sei eine Besserung nicht mehr zu erwarten. "Erst von der Generation, welche eine entscheidende Wahl ihres künftigen Berufes gegenwärtig noch nicht getroffen hat, die erst heranwächst unter dem wohltätigen Einflüsse einer liberalen Verfassung, darf man daher die Früchte erwarten, wozu die erste Aufnahme der Juden in den christlichen Bürgerverein nur den Samen streut." Deshalb müsse der Staat zunächst durch "objektive Einschränkungen ... die nationale Geneigtheit, andere zu vervorteilen, im Zügel halten und verhüten, daß die Juden nicht ihre erlangten Vorrechte zum Druck der Christen mißbrauchen, bis einst die folgende Generation der jüdischen Verderbtheit ganz entsagt hat." Dieses Ziel sei nur zu erreichen, wenn die Kinder "sich als freie Bürger fühlen lernen und zu einer nützlicheren und ehrbareren Wirksamkeit angezogen werden." "Dies muß entweder in den jüdischen Schulen geschehen, oder wenn hierzu jetzt noch Lehrer und Mittel fehlen sollten, so müssen die Juden gleich den übrigen Untertanen verbunden sein, ihre Kinder beiderlei Geschlechter in die öffentlichen Schulen, die zum Religionsunterricht bestimmten Stunden ausgenommen, zu schicken. Den christlichen Lehrern würde jedoch die sorgfältigste Vermeidung jeder Art von Unduldsamkeit zu empfehlen sein."

Deutlich wird in dem Gutachten die pädagogische Intention seiner Verfasser: eine indirekte Erziehung durch die Gewöhnung an wohldosierte gesetzgeberische Maßnahmen und eine direkte durch Schule und Unterricht. Funktionale und intentionale Erziehung sollen Hand in Hand gehen. Bemerkenswert ist, daß schon von "jüdischen Schulen" gesprochen wird, die es außer Religionsschulen noch gar nicht gibt. Folgt man dem Wortlaut des Textes, dann wird der Besuch christlicher Schulen eigentlich nur für den Fall empfohlen, daß Lehrer und Mittel für israelitische Schulen fehlen. Ob man sich an Jakobsons Konzeption erinnert und den Juden durch besondere Schulen ihre Eigenständigkeit gewährleisten, oder im Geheimen doch Proselyten machen will, bleibt offen.

Als die Juden sich bereit erklären, anstelle der gesetzlichen Schutzgelder eine Ablösesumme von 100 000 Gulden zu zahlen, unterzeichnet der Kurfürst am 14. Mai 1816 eine Verordnung, "Die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen als Staatsbürger betreffend."18) Diese Verordnung gilt jedoch nur für Althessen und nicht für die späteren Provinzen Fulda und Hanau. Sie soll die bisherigen Nachteile, die den Juden "sowohl für deren sittliche Bildung als für den Verkehr mit Unseren übrigen Unterthanen entstanden sind," ausgleichen, aber "auch nicht außer Acht lassen, daß eine nicht vorbereitete unbedingte Gleichstellung mit diesen dem Zwecke, das Wohl beider zu befördern, hinderlich seyn könnte".

Im wesentlichen folgt die Verordnung dem vorangegangenen Gutachten, indem sie den Juden zwar grundsätzlich "gleiche Rechte mit Unseren christlichen Unterthanen (verleiht)," diese aber mit einem langen Katalog von detaillierten Beschränkungen versieht: So können Juden zwar Feldgüter erwerben, dürfen sie aber innerhalb von 10 Jahren nicht wieder veräußern und nur an Glaubensgenossen verpachten; das Gesinde muß mindestens zur Hälfte aus Juden bestehen. Juden ist nur erlaubt, e i n Haus zu kaufen, es sei denn, sie betreiben mit behördlicher Genehmigung ein größeres Gewerbe. Grundsätzlich ausgeschlossen von den Vorteilen der Verordnung bleiben sog. "Nothändler", das sind die Viehmakler,

 

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