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Pfandleiher, Trödler und Hausierer. Die Ausübung ihres Gewerbes wird an be fristete Erlaubnisscheine gebunden; ihren Kindern ist das Heiraten verboten.

Wenn die Verordnung die Diagnose des Regierungsgutachtens rechtlich fixiert, so übernimmt sie aber auch dessen Therapievorschlag, diesen Zustand zu ändern: "Sämtliche jüdischen Glaubensgenossen, ohne Unterschied, sind verbunden, ihre Kinder in die öffentlichen Schulen der Christen, mit Ausnahme der für den Religionsunterricht bestimmten Stunden, zu schicken. Den Lehrern dieser Schulen wird es zur Pflicht gemacht, keine Äußerung liebloser Gesinnung, so wenig von der einen als von der anderen Seite zu dulden." (§ 4)

Dieser Paragraph führt die allgemeine Schulpflicht auch für israelitische Kinder ein. Sie wird für so wichtig gehalten, daß sie in einer Verordnung erscheint, die im wesentlichen die rechtliche Stellung der Juden umreißt. Ausführliche Bestimmungen über die Verbesserung von Kultus und Unterricht soll erst eine Kom mission erarbeiten und zur Prüfung vorlegen. (§ 3)

Ob die Kommission gebildet worden ist, ist nicht festzustellen; jedenfalls wird sie nicht tätig. Dagegen werden laufend Klagen über Verstöße gegen die Maiverordnung laut, die, von Vorurteilen und Konkurrenzneid diktiert, verdrängen, daß den Juden zwar Ackerbau, Handel, Handwerk und Gewerbe erlaubt, der Bodenerwerb und der Kauf von Häusern aber durch stringente Reglementierungen erschwert wird, christliche Meister sich weigern, jüdische Lehrlinge aufzunehmen und Juden die Zünfte und Gilden verschlossen bleiben. Trotzdem veranlassen solche Eingaben das kurfürstliche Ministerium zu Überlegungen, wie sie in einem Entwurf zu einer er gänzenden Verordnung aktenkundig werden.19) Weil die Verordnung vom 14. Mai 1816 "ihren Zweck, diese Nation von ihrem den Unterthanen verderblichen Wuchergeist zurückzuführen und sie zu Ergreifung anderer bürgerlicher Gewerbe ... aus freiem Antrieb zu bestimmen, nicht völlig entsprochen hat, vielmehr die in derselben ertheilte Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern von einem Theil ihrer Mitglieder, zumalen auf dem platten Lande zerstreuten Handelsjuden, zu einer größe ren strafbaren Unterdrückung Unserer christlichen Unterthanen mißbraucht wird," werden Ge- und Verbote erneut eingeschärft und Zuwiderhandelnden Maßnahmen angedroht, die von Geld-, Gefängnis- und Zuchthausstrafen bis zur Zwangsarbeit reichen. Zur "Verbesserung der Moralität" müssen junge Israeliten ihre Berufsausbildung der Obrigkeit anzeigen, die dann die Lehr- und Studienzeit vom 14. Lebensjahr an überwacht und Ausbrecher in ein "Zwangs-Arbeits-Haus" einweisen kann, wo sie "zur Arbeit und Erlernung schicklicher Gewerbe angehalten werden."

Neben dieser Androhung von drakonischen Polizeimaßnahmen enthält der Entwurf die Einschärfung des Pflichtbesuchs öffentlicher christlicher Schulen. Gleichzeitig fordert er, daß die jüdischen Gemeinden "besoldete öffentliche Religionslehrer" anstellen, die vorher eine "Prüfung in Gegenwart eines Regierungskommissars" abgelegt haben. Im übrigen sieht er vor, daß "zur Aufsicht über die Erziehung der Nation und Verbesserung ihres Cultus- und Armenwesens ein jüdisches Consistorium, aus aufgeklärten Gelehrten dieser Nation bestehend, unter dem Vorsitze eines Regierungs-Commissars, in der Residenz gebildet werden (soll)". Eine solche Kommission hatte schon die Maiverordnung vorgesehen. Ob dieser Entwurf in der Schärfe rechtskräftig geworden ist, läßt sich nicht feststellen, da er in keiner der ein schlägigen Sammlungen von Gesetzen und Verordnungen zu finden ist. Er zeigt aber die Bandbreite des Erziehungsgedankens, die von drakonischen Strafmaßnahmen bis zu Schule und Unterricht reicht. Bemerkenswert ist der in der Terminologie an Jacobson erinnernde Hinweis auf die fehlende Erziehungsinstanz. Der Frage der damit verbundenen Verbesserung des Kultus und Unterrichts nimmt sich Kurfürst Wilhelm II. an, der seinem verstorbenen Vater 1821 auf den Thron gefolgt ist. Er gliedert in einer Verwaltungsreform den Kurstaat in vier Provinzen mit je einer Provinzialregierung an der Spitze und paßt später die Organisation der Judenschaft diesem Schema an.

 

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