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blaßrosa Einband wurde nicht akzeptiert, das Buch mußte wieder in die Werkstatt zurückgenommen und auf Kosten des Buchbinders neu gebunden werden. An Reparaturarbeiten beschädigter Bucheinbände mangelte es nicht, da die Verlagseinbände meist wenig strapazierfähig waren. Gewiß hätte man stabileren Bibliothekseinbänden gern den Vorzug gegeben, doch ließ dies der chronische Geldmangel meist nicht zu. Prophylaktisch, so der Terminus technicus, waren selbst Bücher mit nur kleineren äußeren Defekten sogleich auszusortieren und gelangten nicht eher ins Büchermagazin zurück, bis der Schaden behoben war.

Für Kasseler Verhältnisse war die sorgfältig getroffene Auswahl der im Lesesaal aufgestellten Werke aller Fachgebiete als durchaus ausreichend anzusehen. Alle allgemeinen und besonderen Nachschlagewerke, Kompendien usw., die man üblicherweise hier als präsent und frei zugänglich erwarten konnte, waren auch vertreten. Die Aufsichtsführende, Bibl.-Arbeiterin Paula Feige, war zudem in der Lage, zugleich in leichteren Fällen erste Auskünfte zu erteilen. Vermehrt trat sie in Aktion, wenn telefonisch zu veranlassen war, daß für den Gebrauch im Lesesaal Bücher aus dem Magazin oder nicht mehr ausliegende Zeitschriftenhefte des laufenden Jahrgangs herbeigeholt werden mußten. Von der Möglichkeit, über das Wochenende Lesesaalbücher mit nach Haus nehmen zu können, wurde regelmäßig und reger Gebrauch gemacht. Dem Auszubildenden verblieb reichlich Zeit, sich über wiegend selbst mit der für den Lesesaal typischen Literatur aller Disziplinen vertraut zu machen. Als besonders positiv ist anzumerken: Nach dem Machtwechsel brauchten in nur bescheidenem Umfang Bücher aus dem bisherigen Lesesaalbestand herausgenommen, entfernt und durch andere neue ersetzt zu werden. Ein untrüg liches Zeichen, wie überlegt und repräsentativ die Auswahl getroffen war.

Der Dienst am Kunden, um ausnahmsweise einen viel zitierten Begriff aus dem Wirtschaftsleben zu verwenden, traf nicht nur, wie beschrieben, auf die Ausleihe zu, sondern in weit größerem Maße auf die Katalogabteilung und der mit ihr verbundenen wissenschaftlichen Auskunfterteilung. Hier wurde unter der Ägide und Leitung von Bibliotheksrat Dr. Thilo Schnurre allergrößter Wert auf ganz und gar persönlich ausgerichteten Benutzerservice gelegt. Dr. Schnurre war ein immer zugänglicher und ansprechbarer Vorgesetzter. Er hatte seinen Arbeitsplatz wohl hinter der Wand des Alphabetischen Katalogs, was ihn aber nicht daran hinderte, alles akustisch mitzubekommen, was sich coram publico abspielte. Wenn er es für nötig oder angebracht erachtete oder man ihn bat, griff er sofort und gern ein. Wegen seines entgegenkommenden Wesens und seines profunden Wis sens war er ein von der Öffentlichkeit viel beanspruchter Mann. Trat der Benutzer an den für ihn bestimmten langen Arbeitstisch heran, nahm er normalerweise zunächst einmal an ihm Platz, womit von vornherein erst einmal eine Atmosphäre der Sammlung und Ruhe herbeigeführt wurde. Da die Kataloge für den Benutzer nicht frei zugänglich waren, wie etwa die Bücher im Lesesaal, mußte er seine Wünsche vorbringen, äußern. Wurden Verfasser und Titel genannt, suchte man im Alphabetischen Katalog die entsprechende Kapsel heraus und überreichte sie, an der richtigen Stelle aufgeschlagen, dem Benutzer. Selbst in solch ein fachem Fall hieß es dennoch, aufzupassen. Dazu ein Beispiel: Erich Marcks, Historiker der Bismarck-Ära, und Karl Marx waren mit den Titeln ihrer Werke rein zufällig in zwei verschiedenen, nebeneinander stehenden Katalogkapseln verzeichnet. Es wäre in den Augen Dr. Schnurres ein unverzeihlicher Fauxpas gewesen, wenn man etwa einem seriösen Ruhestandsbeamten die Karl-Marx-Kapsel ausgehändigt hätte. Es sei denn, man hätte, falls im Zweifel, vorsichtshalber nachgefragt -— oder beide Kapseln zur gefälligen Auswahl vorgelegt. Da die Titel der Neuerwerbungen von Zeit zu Zeit in der "Kasseler Post" und wohl auch im "Kasseler Tageblatt" veröffentlicht wurden, konnten auf diese Weise immer wieder neue Interessenten als Benutzer gewonnen werden, und waren somit nicht nur Insidern bekannt, wie jenem ehemaligen Militär, der gezielt die deutsche Übersetzung von Mordacqs "La mentalité allemande" kennenzulernen wünschte, damals ein literarischer Geheimtip. Alles in allem, hier im Katalog- [Katalogzimmer]

 

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