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Nordhessen ging ich insbesondere von den erkenntnisleitenden Fragestellungen aus:
  

  1. Wie kam es zum Aufstieg und zur Machtdurchsetzung des Nationalsozialismus in Nordhessen?
  2. Auf welche sozialen Gruppen konnten sich der Nationalsozialismus und seine Organisationen in Nordhessen stützen? Woher kamen seine Führer, Mitglieder und Wähler? Wie haben sich Anhängerschaft und Organisationen des Nationalsozialismus vor und nach der Machtergreifung entwickelt?
  3. Gab es eine spezifisch regional bezogene nationalsozialistische Kommunal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik in der nordhessischen Region?
  4. Wie hat sich in der Zeit der Weimarer Republik, in der Phase der Machtergreifung und nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft die Sozialdemokratie als in Nordhessen stärkste demokratische Partei mit dem Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen auseinandergesetzt?
  5. Welche Bedeutung hatte die Entnazifizierung für die Überwindung des Nationalsozialismus, für die soziale und politische Reintegration seiner Anhänger und den demokratischen Neuaufbau?

Untersuchungsergebnisse zu den drei erstgenannten Fragen wurden bereits ver öffentlicht1) Ergebnisse zur vierten Untersuchungsfrage, die sich auf die nord hessische Sozialdemokratie beziehen, werden zur Zeit für eine Publikation aufgearbeitet. Das Buch soll im Herbst 1988 in einem Marburger Verlag erscheinen.
 

Um die persönliche Dimension dieser Fragestellung als besonderen Schwerpunkt in die Untersuchung einzubeziehen, wird jetzt an einem Forschungs- und Dokumentationsvorhaben über zwei politische Persönlichkeiten gearbeitet:

Nora Platiel, Elisabeth Selbert - Nordhessische Politikerinnen gegen den Nationalsozialismus, für Demokratie und Gleichberechtigung.

Dieses Projekt hat das Ziel, die politischen Biographien sowie das antifaschistische und gesellschafts-, kultur- und rechtspolitische Wirken von zwei bedeutenden Politikerinnen in Kassel und Hessen zu untersuchen und zu dokumentieren. Beide engagierten sich für die Erhaltung und Verteidigung der Demokratie in der Weimarer Republik und stellten sich dem aufkommenden Nationalsozialismus ent gegen.
 

Nora Platiel war Rechtsanwältin, seit 1922 in der SPD und trat überwiegend in politischen Prozessen als Strafverteidigerin von angeklagten Demokraten auf. Sie wurde vom nationalsozialistischen Regime aus politischen und rassistischen Gründen verfolgt und zur Emigration gezwungen - bis 1943 in Frankreich, dann in der Schweiz, wo sie humanitäre Aufgaben übernahm. Nach ihrer Rückkehr aus dem Exil war sie Landgerichtsrätin und Landgerichtsdirektorin in Kassel und SPD-Abgeordnete im Hessischen Landtag. Sie wirkte am demokratischen Neuaufbau mit, wurde zur stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Hessischen Landtags und der SPD-Landtagsfraktion gewählt und setzte sich insbesondere für die Rechts- und Kulturpolitik ein.

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1) zu Frage 1.: W. Frenz: Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Kassel 1922-1933, in: Eike Hennig (Hrsg.): Hessen unterm Hakenkreuz, Frankfurt/M. 1983, S. 63-106; zu Frage 2.: W. Frenz: Organisation, Mitglieder und Wähler der NSDAP in Kassel, in: W. Frenz/J. Kammler/ D. Krause-Vilmar (Hrsg.): Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Kassel 1933-1945, Bd. 2, Studien, Fuldabrück 1987, S. 47-57; zu Frage 3.: W. Frenz: Nationalsozialistische Kommunalpolitik am Beispiel Kassel, in: W. Frenz/J. Kammler/D. Krause-Vilmar (Hrsg.): Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Bd. 2, a.a.O., S. 96-103; W. Frenz: NS-Wirtschaftspolitik und die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung (1933-1939), in: W. Frenz/J. Kammler/D. Krause-Vilmar (Hrsg.): Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Bd. 2, a.a.O., S. 255-290.

 

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