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Dr. Elisabeth Selbert, Rechtsanwältin, wurde 1918 Mitglied der SPD. Sie trat durch ihre politische Arbeit hervor und wurde zum Mitglied des Bezirksvorstandes der Kurhessischen SPD gewählt. Ihre politische Tätigkeit in dieser Funktion wurde durch die Nationalsozialisten 1933 zwangsweise beendet. Elisabeth Selbert ließ sich als Rechtsanwältin in Kassel nieder und hielt, soweit wie möglich, Kontakt zu ehemaligen Sozialdemokraten. Ihre Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus zeigte sich darin, daß sie in ihrer Wohnung bzw. Anwaltspraxis Zusammenkünfte mit politisch Gleichgesinnten organisierte, bei denen politische Fragen besprochen wurden. Durch diese politischen Gespräche wurden die Voraussetzungen für den politischen Neuanfang der Sozialdemokratie in Kassel und Nordhessen ab Frühjahr 1945 geschaffen. Nach der Wiedergründung der SPD wurde Elisabeth Selbert gleich wieder Mitglied des nordhessischen Bezirksvorstandes der Partei und kam 1946 in den Vorstand der SPD.
  

Ihre Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Ideologie und Politik, die die Emanzipation der Frau ablehnte und bekämpfte (Alfred Rosenberg: "Die Emanzipation von der Frauenemanzipation ist die erste Forderung.") und mit der Zurückdrängung von Frauen aus der höheren Bildung, Beruf und öffentlichem und politischem Leben sowie ihre versuchte Festlegung auf die Hausfrauen- und Mutterrolle brachten sie zur Erkenntnis, daß die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau für den Aufbau und das Bestehen einer neuen deutschen Demokratie notwendig sei. Als Mitglied des Parlamentarischen Rates setzte sie sich deshalb 1948/49 vor allem für die Gleichstellung der Frauen ein. Sie erreichte, daß der Artikel 3, Absatz 2 "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Am demokratischen Neuaufbau im Lande Hessen und in ihrer Heimatstadt Kassel beteiligte sich Elisabeth Selbert als Mitglied der Verfassungsberatenden Landesversammlung und Abgeordnete des Hessischen Landtages sowie als Kasseler Stadtverordnete.
  

Beide Politikerinnen haben in Kassel und im Lande Hessen, Elisabeth Selbert dar über hinaus bei der Entstehung des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutsch land den demokratischen Neuaufbau mitgestaltet und sind durch ihre Leistungen zu zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten geworden. Ihre Bedeutung für die Gleichberechtigung der Frau, für die hessische Landespolitik und die Kasseler Kommunalpolitik ist noch zu erschließen und für die Öffentlichkeit, insbesondere für die politische Bildung, zu vermitteln. Für die Untersuchung und Dokumentation werden die folgenden Quellen und Materialien gesichtet und ausgewertet:

    - Partiell vorhandene Nachlässe der beiden Politikerinnen,

    - Berichte in lokalen, regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften,

    - Protokolle der Kasseler Stadtverordnetenversammlung, des Hessischen Landtags und des Parlamentarischen Rates,

    - Unterlagen der SPD in Kassel und Nordhessen sowie im Archiv der Sozialen Demo kratie in Bonn.

Außerdem sind die Erinnerungen von Angehörigen, Freunden und politischen Weggefährten von Elisabeth Selbert und Nora Platiel wertvolle Quellen, die durch vorbereitete Interviews (oral history) erschlossen werden sollen.
 

Um die Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten für die Erforschung der fünften Fragestellung zu erkunden und vorzubereiten, läuft gegenwärtig eine Pilotuntersuchung. Gesichtet werden die Befunde der bisherigen Analysen und Berichte über die Entnazifizierung in verschiedenen Bundesländern und Städten sowie Quellen und Materialien über die Entnazifizierung in Hessen und die Berichterstattung über Reaktionen der Betroffenen sowie der politischen und ge sellschaftlichen Öffentlichkeit.
 

2.2  Eike Hennig: Das Forschungsprojekt "Politische Kultur im Landkreis Kassel, besonders in der Endphase der Weimarer Republik"
 

Gleichgewichtig werden zwei Ziele verfolgt:

 

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