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gliedert [gegliedert]. Er beginnt mit einer Aufstellung der Juden, die in Kassel lebten. Diese Liste ist alphabetisch geordnet und enthält Nachname, Vorname, Beruf und Adresse in Kassel, für den zweiten Teil auch den Zeitpunkt des Zuzuges. Danach folgen Kurzbiographien derjenigen Juden, die durch die nationalsozialistische Verfolgung umgekommen sind. Häufig konnten diese oft spärlichen Angaben durch ein Foto ergänzt werden. Das Gedenkbuch ist im Dezember 1986 erschienen und enthält biographische Angaben für 1007 Opfer. Nur für 265 der beschriebenen Personen konnte ein Todesdatum festgestellt werden, 117 Menschen wurden für tot erklärt und 625 galten als verschollen, d.h. alle Nachforschungen blieben bis zur Beendigung des Projektes erfolglos. Seit dem Erscheinen des Gedenkbuches erreichten zahlreiche Briefe mit ergänzenden und korrigierenden Angaben die Redaktion. Alle Informationen werden im Stadtarchiv gesammelt in das Gedenkbuch eingearbeitet und sind dort für Interessierte einsehbar.
 

Das zweite, 1988 begonnene Projekt untersucht "Die frühen Judenpogrome 1938 in Hessen". Es geht hierbei um eine Beschreibung und Analyse derjenigen Ausschreitungen, die vor dem, unter dem euphemistischen Begriff "Kristallnacht" in die deutsche Geschichtsschreibung eingegangenen, Pogromen vom 9. auf 10. November 1938 stattfanden. Nach dem heutigen Forschungsstand wurden die reichsweiten Pogrome durch eine Rede von Goebbels vor den in München versammelten Parteiführern ausgelöst. Er gab bekannt: "daß es in den Gauen Kurhessen und Magdeburg-Anhalt zu judenfeindlichen Kundgebungen gekommen sei, dabei seien jüdische Geschäfte zertrümmert und Synagogen in Brand gesetzt worden. Der Führer habe auf seinen Vortrag hin entschieden, daß derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien, soweit sie spontan entstünden, sei ihnen aber auch nicht entgegenzutreten"21). Daraufhin lösten viele der anwesenden Gauleiter und SA-Führer in den ihnen unterstehenden Parteibezirken Alarm bei der örtlichen NSDAP, HJ und SA aus. Juden wurden in dieser Nacht getötet und mißhandelt, ihr Eigentum zerstört. Die Verantwortlichkeit für die "vom Rath-Aktion", so hieß der Pogrom zunächst im NS-Sprachgebrauch, lag bei der Partei, insbesondere bei Goebbels. Das wußte 1938 nicht nur die Auslandspresse zu berichten, auch die Forschung geht davon aus. Gilt dies aber auch für die Pogrome am 7., 8. und am Tag des 9. November, auf die sich Goebbels ja in seiner Rede beruft? Waren diese Ausschreitungen auch auf die Initiative Goebbels zurückzuführen, z.B. auf einen direkt nach dem Attentat am 8.11. gegen die Juden gerichteten Hetzartikel im Völkischen Beobachter, oder gab es andere bisher nur wenig von der Forschung beachtete Gründe?

Es konnte zunächst nachgewiesen werden, daß es in einigen Orten des Gaues Kurhessen bereits am 7. November 1938 zu Pogromen kam, zu einem Zeitpunkt, als der Artikel im Völkischen Beobachter noch nicht erschienen war und als auslösender Grund ausscheidet. - Für diese Pogrome in Kassel, Sontra, Rotenburg, Baumbach und Heinebach muß es andere Motive geben. Nach den bisherigen Untersuchungen gibt es Hinweise auf die Täterschaft von SS-Verfügungstruppen aus Arolsen und Gestapomännern aus Kassel22). Würden sich weitere Anhaltspunkte für die Beteiligung von SS-Einheiten und Gestapo-Beamten finden, müßte die bisherige Zurechnung der Verantwortung für die Auslösung des Pogroms auf Goebbels modifiziert werden.

Eine Aufgabe des Projektes ist die - soweit die Quellen es zulassen - vollständige Erfassung der sogenannten frühen Pogrome in Hessen. Die ereignisgeschichtlichen Daten dieser Ausschreitungen sollen daraufhin überprüft werden, ob noch Differenzierungen nach Zeitpunkt, Verantwortlichen, Beteiligten, Ablauf des Pogroms und

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21) Ein Auszug der Rede ist wiedergegeben in: Urkunden zur Judenpolitik des Dritten Reiches, in: Das Parlament v. 1.11.54, S. 582

22) Siehe den Aufsatz: Wolfgang Prinz: Die Judenverfolgung in Kassel, in: W. Frenz/J. Kammler/D. Krause-Vilmar (Hrsg.): Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Bd. 2, a.a.O., S. 144-222

 

 

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