..

2

gend [grundlegend].1 Sie lösen die berühmt-berüchtigten "Stiehlschen Regulative"2 von 1854 ab, die die Lehrer in geistiger Unmündigkeit gehalten hatten, und passen die Lehrerbildung der seitherigen gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung an. An die Seminare werden erheblich höhere Anforderungen gestellt, und diese wirken sich auch auf das israelitische Seminar in Kassel aus. Von 1866 bis 1868 noch gemeinsam dem Regierungspräsidenten in Kassel unterstellt, wird 1868 die Einheit von Schule und Seminar verwaltungstechnisch insofern aufgelöst, als die Schule bei der Bezirksregierung verbleibt, das Seminar aber gleich dem christlichen dem beim Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau eingerichteten Provinzial-Schulkollegium zugeordnet wird. Diese Maßnahme ist um so verwunderlicher, als in den Altprovinzen mit den Königlich-preußischen Seminaren Übungsschulen organisch verbunden sind, die infolgedessen auch den Provinzial-Schulkollegien unterstehen. Das Vorsteheramt wehrt sich auch entschieden dagegen mit dem Argument, daß dem Seminar mit der Abtrennung der Elementarschule der Mittelpunkt seiner gesamten theoretischen und praktischen Wirksamkeit entzogen würde.3 Vergeblich! Daraus ergeben sich später Kompetenz- und Rechtsprobleme; denn wie alle israelitischen Schulen Preußens, so beansprucht auch die Seminarübungsschule den Status einer ordentlichen Volksschule, während das Seminar eine reine Privatanstalt ohne staatliche Subventionen bleibt.

In den Jahren 1870 bis 1880 schwankt die Schülerzahl der Schule zwischen 15 und 19, wobei oft nur noch ein Kind aus der Kasseler Gemeinde kommt, alle anderen dem Waisenhaus angehören. Schon 1870 vermerkt der die Schule revidierende Oberschulinspektor: Die Schule steht auf dem Aussterbeetat, ... es wird voraussichtlich dieses Schuljahr das letzte sein.4 Zwar leiste sie, was sie unter den gegebenen Verhältnissen leisten kann, in vollem Maße, sie leide aber an der Einzügigkeit mit den großen Altersunterschieden und daran, daß die begabten Knaben sich sämtlich anderen hiesigen Schulen zuwenden, so daß er nur 1 - 2 wirklich gute Köpfe gefunden habe. Im übrigen

____________

1 Centralblatt für die gesammte Unterrichtsverwaltung in Preußen, Jg. 1872, S. 681 ff.
Zu den die "Allgemeinen Bestimmungen" vorbereitenden Verhandlungen zieht der Kultusminister Falk in der 4. Sitzung des beratenden Gremiums auch zwei israelitische Würdenträger heran: den Rektor Dr. Horwitz aus Berlin und den Landesrabbiner Dr. Meyer aus Hannover. Sie berichten über die israelitischen Seminare in Berlin und Hannover, der christliche Seminardirektor aus Soest über die lehrerbildende Marks-Haindorfsche Stiftung in Münster. Merkwürdigerweise wird das älteste israelitische Seminar, das in Kassel, mit keinem Worte erwähnt, obwohl aus der Provinz Hessen-Nassau der Regierungs- und Schulrat Dr. Bayer den Verhandlungen beiwohnt. (Centralblatt ... Jg. 1872, S. 407 f.)

2 Sie bildeten das Musterbeispiel für die reaktionäre Schulpolitik nach der 48er Revolution, nach dem sich auch die Regierungen anderer deutscher Staaten richteten. Beispiel: Der Revisionsbericht des Oberschulrats Herwig über das israelitsche Seminar in Kassel von 1854. S. MHG 17, S. 15, Abs. 2.

3 StAM (STA Marburg = StAM), Best. 152 Provinzial-Schulkollegium Acc. 1938/9 Nr. 2151 (zukünftig zitiert: Pr.-Sch. Nr. ...).

4 StAM, Best. I66b. Regierung zu Cassel, Nr. 3893; ebd. alle folgenden Zitate.

 

..