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glaubt er, daß die Schule von selbst aussterben wird, weil die Überzeugung, daß die betreffenden Kinder besser in den hiesigen vollständig organisierten und klassenweise abgestuften Schulen untergebracht sind, als in Klassen, die beide Geschlechter und alle möglichen Altersstufen in sich vereinigen, immer mehr in den Kreisen der israelitischen Bevölkerung sich Bahn bricht.

Als er die Schule zwei Jahre später erneut visitieren muß, wiederholt er die Empfehlung zum Besuch städtischer Schulen. Auch der Landrabbiner, mit dem er gesprochen habe, zeige sich dem Plan nicht abgeneigt. Das Vorsteheramt befürwortet ihn ebenfalls, gibt aber zu bedenken, daß dadurch die Lehrerbildung amputiert werde. Diesem Bedenken schließen sich die Regierung und das Provinzial-Schulkollegium an. Die Schließung der Schule sei für die Lehrerbildung von wesentlichem Nachtheil, weil sie für das Seminar die Übungsschule bilde. Infolgedessen verfügt die Regierung am 05.05.1873, daß trotz der Verwaltungsänderung in dem seitherigen Verhältnis der Schule zur israelitischen Lehrer-Bildungsanstalt nichts geändert wird. So verdankt die Schule ihre weitere Existenz dem Seminar. Seit der Mitte der achtziger Jahre steigt die Zahl der Kinder etwas an. 1885 kommen zu 19 Kindern aus dem Waisenhaus 20 aus armen, meist zugezogenen Familien der Stadt. Seit 1886 ist sie wieder zweiklassig, allerdings sind beide Klassen in 10 Stunden kombiniert, und die alten Mängel bleiben, wie der städtische Schulinspektor vermerkt: Die unregelmäßige Aufnahme in das Waisenhaus verhindert eine gleichmäßige Einschulung, manche Kinder sind schon 10-11 Jahre alt und oft leiblich und geistig verwahrlost. Zu seiner Überraschung aber muß er vier Jahre später feststellen, daß sich ein erfreulicher Fortschritt gegen früher bemerkbar gemacht hat, so daß der Gesamtzustand der Anstalt als völlig genügend zu bezeichnen ist. Ihre Funktion, angehende Lehrer in die Praxis einzuführen, kann sie trotz ihres labilen Zustandes weiterhin erfüllen.

Das Seminar wird anerkannt und durch einen bemerkenswerten Erlaß des Innen- und des Kriegsministers vom 14. Juni 1867 den staatlichen preußischen Seminaren gleichgestellt: Der Ober-Präsident von Möller zu Cassel hat darauf angetragen, daß die Begünstigung, der Militairpflicht durch eine sechs wöchentliche Dienstleistung bei einem Infanterieregimente zu genügen, auch den Zöglingen des israelitischen Schullehrer-Seminars zu Cassel zugestanden werde, welche durch die Königliche Prüfungskommission mit einem Befahigungszeugnisse versehen werden. Das genannte Seminar ist mit Genehmigung der Landesregierung von der Judenschaft der vormaligen Provinz Niederhessen zur Ausbildung israelitischer Elementarlehrer dauernd begründet. Es hat zwar den Charakter einer Privat-Lehranstalt, steht aber unter Aufsicht und Leitung der Staatsbehörde, und die letztere hat zur Prüfung der in der Anstalt ausgebildeten Abiturienten eine Prüfungskommission ernannt, welche nach denselben Grundsätzen zu verfahren hat, die bei den Abiturientenprüfungen der vom Staat begründeten Seminarien zur Anwendung kommen. Diese Maßnahme erscheint daher um so mehr gerechtfertigt, als die im vormaligen Kurfürstentum Hessen bestandenen israelitischen Elementar-Volksschulen einen öffentlichen Charakter haben und in dieser Beziehung den christlichen Volksschulen gleichstehen.1 So verhelfen militärische Berechti- [Berechtigungen]

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1 Centralblatt ..., Jg. 1867, S. 483 f.
Der Grund für diese Vergünstigung lag in dem allgemeinen Lehrermangel. Nachdem er etwas behoben war, wurde die Dienstzeit 1895 auf ein Jahr angehoben, auch für israelitische Lehrer. Als aber den Seminarabsolventen 1896 die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienst verliehen wird, die ihnen den Weg zum Reserveoffizier öffnet, wird ein Antrag des Vorsteheramtes auf Gleichbehandlung vom 10.10.1898 mit der Begründung abgelehnt, die Verordnung gelte nur für christliche Seminare. (Pr.-Sch. Nr. 2151)

 

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