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Nach einem langen Papierkrieg entscheidet der Minister am 19.04.1911, daß der israelitischen Schule in Cassel nach ihrer geschichtlichen Entstehung und Entwicklung der Charakter einer öffentlichen Volksschule nicht abgesprochen werden kann,1 folglich der Synagogengemeinde der Anspruch auf Kommunalbeiträge zusteht, bei dessen Bemessung aber zu berücksichtigen ist, daß weniger Kasseler als auswärtige und ausländische Kinder darin beschult werden. Seitdem zahlt die Stadt einen zwischen beiden Parteien ausgehandelten "angemessenen" Beitrag. Der Minister fordert daraufhin einen Bericht darüber an, wie gegenwärtig die Einführung der Zöglinge des Seminars ... in die Unterrichtstätigkeit geregelt ist, und ob sich aus dem Umstande, daß diese nicht dem Provinzial-Schulkollegium unterstehe, bisher erhebliche Schwierigkeiten ergeben haben. Am 08.03.1912 erstattet der Provinzialschulrat Leist einen detaillierten Bericht, den er mit der Feststellung beschließt: Daraus, daß die israelitische Schule nicht dem Provinzial-Schulkollegium, sondern hiesiger Königlicher Regierung unterstellt ist, haben sich bisher erhebliche Schwierigkeiten nicht ergeben. Der Sinneswandel im Provinzial-Schulkollegium ist nicht leicht zu erklären. Ob er mit dem Wechsel im Departement von Dr. Otto auf Leist zusammenhängt, sei dahingestellt. Möglich wäre, daß Leist die ganze Angelegenheit etwas liberaler beurteilt, als der ehemalige Homberger Seminardirektor Otto, der preußische Ordnung auch im israelitischen Seminar schaffen will, obgleich er wiederholt hatte zugestehen müssen, daß das Seminar seine Aufgabe trotz seiner mangelhaften Organisation erfüllte.

Erfolgreicher für das Provinzial-Schulkollegium gestalten sich parallel laufende Verhandlungen mit dem Vorsteheramt über die Regelung interner Zuständigkeiten. Das Vorsteheramt sieht ein, daß es für die Zukunft untragbar ist, wenn die Schule keinen Leiter hat und der Seminardirektor nicht befugt ist, Anordnungen für die Übungsschule zu treffen, denen die Lehrer nachzukommen haben.2 Es schlägt deshalb vor, daß der Seminardirigent die Schulordnung, die Stoffverteilung und die Unterrichtsmethoden feststellt und überwacht und maßgebliche Anordnungen für den ganzen Schulbetrieb trifft, weil sonst nicht allein seine Autorität den Seminaristen gegenüber gefährdet, sondern auch seine Verantwortlichkeit für deren Ausbildung in Frage gestellt ist.

Die Zahl der Seminaristen bleibt konstant. Zu schaffen aber macht dem Vorsteheramt die Präparandenbildung, zumal das Provinzial-Schulkollegium auf der Einrichtung einer Präparandenanstalt besteht, weil die in einem dreijährigen Präparandenunterricht erworbenen Kenntnisse bei privat vorbereiteten Anwärtern nicht als geistiges Eigentum vorausgesetzt werden können.3 Das Vorsteheramt erklärt sich auch grundsätzlich bereit, eine solche einzurichten, sieht sich aber zunächst dazu finanziell nicht in der Lage. So sind hessische Bewerber darauf angewiesen, auswärtige Präparandenanstalten zu besuchen, wie die in Köln, Münster, Hannover und dem bayrischen Burgpreppach (bei Coburg). Das aber birgt zwei Gefahren in sich: zum einen, daß sie anschließend dort auch in das Seminar eintreten; zum anderen, daß sie mit einer abweichenden religiösen Richtung nach Kassel kommen. Favorisiert wird die Präparandenanstalt in Burgpreppach. Der größte Teil der Zöglinge, so berichtet Dr. Lazarus am 17.05.1906, erhält dort seine Vorbildung in

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1 StAM, Best. 152, Pr.-Sch. Nr. 2147. Ebd. alle folgenden Zitate.

2 StAM, Best. 166 b. Regierung Kassel, Nr. 3893.

3 StAM, Best. 152, Pr.-Sch. Nr. 2151. Ebd. alle folgenden Zitate.

 

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