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ZV Frankenberg

Spinnstube - „Treibhaus der Unsittlichkeit"

Den Bürgermeistern und Dorfgendarmen war in früheren Jahrhunderten die abendliche „Spinnstube", zu der sich reihum in den Häusern so genannte „Spinnstubengesellschaften" trafen, oft ein Dorn im Auge. Diese Zusammenkünfte hatten ihren festen Platz im dörflichen Sozialleben. Sie dienten nicht nur dem Broterwerb oder der Herstellung von Textilien für die Aussteuer der jungen Frauen, sondern sie waren auch Nachrichtenbörse, kritisches Forum, Ort für jugendliche Sexualkultur und für feuchtfröhliche Ausgelassenheit. Kein Wunder, dass 1844 der Frankenberger Landrat Renner über „Unzucht, Liederlichkeit und Branntweintrinken, worin das weibliche Geschlecht mit dem männlichen wetteifert", klagte. Wie es die dörfliche Kultur auch in armen Zeiten zumindest in den Spinnstuben verstanden hat, Arbeit und Leben miteinander zu versöhnen, wollte der ZV Frankenberg zeigen. Dazu lud er gemeinsam mit den Landfrauenvereinen der Region den Musikwissenschaftler Uwe Henkhaus (Kirchhain) mit seinem Marburger „Hessenquartett" zu einem großen Themenabend in die Frankenberger „Ederberglandhalle". Für den „Originalton" während der Lesungen und des Konzerts sorgten mit dem Klappern ihrer Stricknadeln die Bottendorfer Landfrauen, die im Saal vorführten, wie früher in der Spinnstube Wolle gesponnen, Leinen verarbeitet, Weißstickerei ausgeführt und Strümpfe gestrickt wurden. Im Mittelpunkt der Berichte aus der Geschichte der hessischen Spinnstuben stand an diesem Abend – dafür sorgte das „Hessenquartett" mit seinen wohl ausgebildeten Stimmen – das volkstümliche Lied in vielfältigen Variationen. Uwe Henkhaus hat in seinem Buch „Spinnstube – Treibhaus der Unsittlichkeit" zu den bestehenden Sammlungen aus dem 19. Jahrhundert noch eine ganze Reihe von mündlich überlieferten Liedern aus dem Oberhessischen hinzugefügt und dabei festgestellt, dass sie noch „getragener und schwermütiger" sind als die Lieder Nieder- und Südhessens. Das Leben der Menschen im Vogelsberg beispielsweise war bis ins 20. Jahrhundert durch Armut gekennzeichnet. „Die Menschen hatten hier einfach weniger zu lachen, und warum sollten sie dann fröhliche Lieder singen?" fragte Henkhaus.

Als eindrucksvolles Beispiel für ein solch getragenes, trauriges Lied stellte das „Hessenquartett" die alte Volksweise „'s ist alles dunkel, 's ist alles trübe" vor, die wegen ihrer Beliebtheit um 1900 spöttisch die „Hessische Marseillaise" genannt wurde. Es war die disziplinierte, durchsichtige

 

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