Philipp der Großmütige und die Türken Ein aufschlussreiches Kapitel der Reformationsgeschichte Die Gesamtsituation In dem an wirkungsgeschichtlichen Ereignissen nicht armen 16. Jahrhundert kommt dem Jahr 1529 eine besondere Bedeutung zu. Ein langwieriges innenpolitisches Problem beherrschte nach wie vor die Szene: die causa Lutheri. Es ging um die seit über einem Jahrzehnt von dem Wittenberger Mönch und TheologieProfessor Martin Luther (14831546) zugespitzten Forderungen nach einer Reform der Kirche. Immer neue Schriften von ihm, von seinen Freunden und Sympathisanten, aber auch von Gegnern, sorgten dafür, dass dieser inzwischen hochemotionalisierten Diskussion der Stoff nicht ausging. Alle Schichten und Stände beteiligten sich, und es war noch lange nicht abzusehen, welches Ende diese Streitfrage einmal nehmen würde. Zahlreiche Versuche zu einer einvernehmlichen Lösung hatten seit 1521 die Reichstage intensiv beschäftigt. Die langen und heftigen Diskussionen hatten aber nur zu Provisorien geführt. Die Folge war, dass drängende außenpolitische Probleme nicht die ihnen zukommende Bedeutung erhielten: das Verhältnis zu Frankreich, die Bedrohung durch die Türken. 1521, während des Wormser Reichstags, der Luther als Ketzer verurteilte und mit dem Wormser Edikt die Rechtsgrundlage für die Unterdrückung seiner Lehren schuf, hatten die Türken auf dem Balkan mit Belgrad den Grundpfeiler der christlichen Verteidigung eingenommen.1 Damit waren die habsburgischen Erblande ins Blickfeld von Sultan Süleyman dem Prächtigen (15201566) gerückt. Die östlichen Gebiete des Reiches gerieten durch die Osmanen unter eine ebensolche Bedrohung wie die westlichen durch den französischen König Franz I. (15151547), den die Niederlage gegen Karl V. (15191556) in der Kaiserwahl in Frankfurt 1519 nicht ruhen ließ. Da die Ansprüche von Karl und Franz auf italienische Gebiete zielten und dort zu kriegerischen Auseinandersetzungen drängten, war auch die Reichsgrenze zum Kirchenstaat nicht sicher. Eine intern unter den Habsburgern vorgenommene Herrschaftsteilung zwischen Karl und seinem Bruder Ferdinand (15211556) hatte dazu geführt, dass dieser die östlichen Teile, jener die im Westen gelegenen regierte. Jeder von beiden musste sich nun auf Krieg einstellen. Bereits 1522 hatte der Kaiser ihn zu führen und konnte mit einem schnellen Sieg die Franzosen aus Italien vertreiben. Da aber der Papst, Klemens VII. (15231534), mit Franz verbündet war, stand noch kein Frieden in Aussicht. Karl blieb weiterhin in Italien gebunden. Für evangelische Fürsten wie Friedrich den Weisen – seit 1524 überzeugter Anhänger und entschiedener Förderer der reformatorischen Bewegung2, nach dessen Tod 1525 für seinen Nachfolger Johann und für Landgraf Philipp von 1Siehe dazu Kohler, Alfred: Ferdinand I. 15031564. Fürst, König und Kaiser. München 2003. S. 207 2Siehe dazu Heinemeyer, Walter: Philipp der Großmütige und die Reformation in Hessen. Gesammelte Aufsätze zur hessischen Reformationsgeschichte. Marburg 1997. S. 175-184.