Der historische Ort (2): Vor 500 Jahren - Landtag am Spies
Die Straße von Frielendorf nach Ziegenhain streift ein Waldgebiet, das „Der Spieß" genannt wird. Am Nordrande des Waldes, nach Spieskappel zu, steht an der ehemaligen Straße ein einsamer hoher Wartturm. Er bewachte im Mittelalter die durch den Spieß verlaufende Grenze der Landgrafschaft Hessen zur Grafschaft Ziegenhain. 1450 aber verlor er seine Funktion, als Landgraf Ludwig 1. die Grafschaft Ziegenhain erbte. Damit war eine Landverbindung zwischen dem hessischen Kernland um Kassel und dem Land an der Lahn um Marburg hergestellt, und der ehemalige Grenzwald befand sich mitten in Hessen. Bald aber bekam der Wartturm eine neue Bedeutung. Denn 1460 teilten Ludwigs in Kassel und Marburg residierenden Söhne das Land bei einem Treffen am Spieß so, dass Ludwig das Land „diesseits des Spießes" (aus Kasseler Sicht), also Niederhessen, Heinrich das Land ,;jenseits des Spießes", also Ziegenhain, Nidda und das Land an der Lahn bekam. Doch die Teilung schuf keinen Frieden, und der Turm war Zeuge vieler Vermittlungsversuche. Nach vier Jahren verlangte Heinrich eine andere Teilung, weil die bisherige ihn benachteilige. Die Landgrafen setzten eine Schiedskommission ein, und schlossen im Mai 1465 am Spieß einen neuen Teilungsvergleich, über dessen Ausführung sie sich freilich wieder zerstritten. Im Juni und Juli 1466 trafen sie sich neuerlich am Spieß und bestellten sechs adlige Schiedsrichter, die eine sehr detaillierte Bestandsaufnahme des Erbes vornahmen und im September 1466 einen neuen Vorschlag vorlegten. Diesen berieten die Landgrafen am 3. Mai 1467 am Spieß mit 20 Abgeordneten der Ritter und Städte. Davon kamen je 10 (je fünf Ritter und fünf Städtevertreter) aus dem „Lande zu Hessen einerseits des Spießes" und aus dem Lande „andererseits des Spießes". Ihren im Juni 1467 schriftlich vorlegten Teilungsvorschlag akzeptierten die Landgrafen im August 1467. Bald bekriegten sich die Landgrafen jedoch wieder. Im Mai 1469 schlossen sie, wieder am Spieß, Frieden, ernannten neue Schiedsrichter, trafen sich noch einmal am Spieß im Juli 1469 und
besiegelten ihren Frieden im Mai 1470 auf einem Landtag im Kloster Spieskappel. Dieser Ablauf zeigt die Gerichtsstätte am Spieß als häufigen Treffpunkt der verfeindeten Brüder und der von ihnen eingesetzten Schiedsgerichte in den 1460er Jahren, aber noch nicht als Landtagsort.
In dieser Zeit war der Spieß also Grenzscheide und Treffpunkt, 1567 auch Tagungsort mit ständischen Deputierten, aber Landtage fanden woanders statt. Erst 1488 gab es einen Landtag am Spieß, bei dem es um eine hohe Steuer ging. Im Jahre 1509 aber wurde der Wartturm am Spieß Zeuge des wohl dramatischsten Landtags der hessischen Geschichte.
Was war damals ein Landtag? Er war eine vom Landesherrn einberufene Versammlung der drei führenden Stände. Dies waren die Adligen, die Lehen vom Landgrafen hatten, die Prälaten, d. h. die Vorsteher der Klöster und Stifte im Lande, und die Städte, vertreten durch Bürgermeister oder Ratsmitglieder.
Am „Spies" begann am 19. Juli 1509 ein Landtag, der zum dramatischsten Landtag der hessischen Geschichte wurde und in eine Revolution gegen die amtierende Landesherrschaft mündete. Was war vorausgegangen? Am 11. Juli 1509 war Philipps Vater Wilhelm II. gestorben. Er hatte zwei Testamente gemacht. Im älteren von 1506 bestimmte er fünf vertraute adelige Räte zu Vormündern seines Sohnes und Regenten des Landes. Nachdem seine junge Frau Anna von Mecklenburg sein Vertrauen in diese Regenten erschüttert hatte, bestimmte er in einem neuen Testament von 1508 Anna zum obersten Vormund und zur Regentin. Schon vor seinem Tode zeichnete sich ab, dass die beiseite geschobenen Regenten und der Adel das neue Testament nicht widerspruchslos hinnehmen würden. Wilhelm hatte auch angeordnet, dass das Testament nach seinem Tode den Landständen zu eröffnen war. Je nach Opportunität sollte entweder ein Teil an den Spies und ein Teil nach Butzbach oder aber die Gesamtheit nach Marburg geladen werden. Anna entschied sich für den ersteren Weg und lud
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